Wir sind Gefangene
Frau Ulitsch, bitte, bitte, können Sie mir nicht etliche Mark geben .... fünf vielleicht ... Ich muß ihm doch das Essen bezahlen ... Meine Schwester kommt morgen vorbei und zahlt alles«, bestürmte ich sie flehend. Sie gab mir das Geld nach einigem Sträuben.
»Du kannst schon bei mir bleiben ... Gott sei Dank! ... Mensch, dieses Vieh!« sagte ich, wieder zu Maurus kommend.
»Da bleibst du nicht mehr lang!« meinte der im Weggehen. Er fragte mich, was ich wöchentlich verdiene, wie lang ich nachts arbeite und ob ich schon Erfolg mit meiner Dichtung gehabt hätte.
»So ... zweiundzwanzig Mark in der Woche«, sagte er respektvoll. »Mensch fein! ... und sonntags frei? ... Herrgott, hast du Glück gehabt!« Er lächelte und meinte gutmütig: »Noja, nachher hältst du mich heut' doch zum Essen frei?«
»Jaja, selbstverständlich ... Ich hab' mir zwar noch gar nichts sparen können, aber in einem Jahr hab' ich hübsch was zusammen«, antwortete ich so nebenher. Er lächelte spöttisch und meinte: »No, wenn du's zahlst... Da komm' ich heut' zu einem billigen Mittagessen.« Nach dem Essen gingen wir spazieren. Er spottete über mein Dichten und fing dann wieder breit und kräftig zu lachen an. Er war bester Dinge und redete unablässig. Abends endlich kamen wir wieder auf mein Zimmer zurück und ich legte mich ins Bett bis um acht Uhr. Er setzte sich hin und las einstweilen Heine. Ich erhob mich um die angegebene Zeit und tat so, als hätte ich es schon sehr eilig ins Geschäft. Er wollte mich begleiten, ich redete es ihm aus, aber er war nicht davon abzubringen. Also begaben wir uns in die Marsstraße zur Hofbäckerei Seidl. Auf dem ganzen Weg kochte ich vor Argwohn und Angst und überlegte in einem fort, wie ich die Täuschung durchführen könnte. Vor dem Geschäft, das einen kleinen Vorgarten hatte, verabschiedeten wir uns. Ich ging rasch in Hausgang und wartete gut eine halbe Stunde. Wenn Wer vorbeikam, zündete ich mir eine Zigarette an und richtete irgend etwas an meiner Kleidung. Schließlich schupfte ich vorsichtig aus dem Tor, spähte nach allen Seiten und ging Schwabing zu, setzte mich in ein Kaffeehaus bis zum Schluß und ging wieder durch die Straßen. In der Bahnhofshalle hockte ich mich auf eine Bank, wurde aber von einem Schutzmann aufgestöbert, in der Wartehalle verbrachte ich einige Zeit, dann ging ich wieder die Stadt. Es fror mich. Es war mir hundeelend zumute. Ich schimpfte mich selber laut, ich bekam einen Ekel vor meiner Lügenhaftigkeit. Schon fing es langsam zu dämmern an. Ich ging in den Englischen Garten, die verlagerten Wege kreuz und quer und hörte auf jeden Uhrenschlag. Um mir die Zeit zu vertreiben, rezitierte ich ab zu ein Gedicht und kam dann selber ins Reimen. Nahe am Monopteros wollte ich Wasser lassen und fand hinter einem Gebüsch einen schlafenden Mann. Er wachte auf und glotzte mich schwermütig an. Ich stand da und wuße nichts anzufangen. Der Schlafende richtete sich lahm auf und musterte mich genauer,
»'n Morgen«, lallte er endlich heraus und rieb sich die Augen. »'n Morgen«, sagte auch ich.
»Auch kein Dach überm Kopf?« fragte er etwas berlinernd, und anscheinend verdrießlich über mein dummes Dreinschauen setzte er hinzu: »Na, Mensch, wat kiekste denn so! ... Leg dich bloß man her! ... Kuschl dich ran, da wird´s wärmer!« Das klang so befehlsmäßig überlegen, daß es mich einschüchterte. Ich zögerte immer noch. Er bog sich bereits wieder brummend igelhaft zusammen, winkte mit dem Kopf, als wollte er sagen: »So komm schon, Grünschnabel!« und legte sich wieder hin. Ich wußte nicht gleich, was ich tun sollte. Benommen glotzte ich, abenteuerliche Gedanken verwirrten mich und auf einmal legte ich mich neben ihn. Er bewegte sich, hüstelte ein wenig, drückte alsdann seinen Rücken fest an meine Brust und preßte seinen Hintern in meine Körpermitte. Wohlig graunzte er dabei. Ich wollte zurückweichen, aber er rückte sofort nach und brummelte aufmunternd: »Na, so bleib doch, Kleener! ... Nur nich soviel Gene! ... Immer ran!« Und auf einmal griff er mit seinem Arm rückwärts nach mir. »Kuschln! Kuschln!« lispelte er kichernd und wollte mich noch mehr zu sich heranziehen. Mir wurde furchtbar unheimlich, ich zitterte, es überrieselte mich. Das Wort Kuscheln hatte ich noch nie gehört und hinter diesem ganzen Gehaben witterte ich weiß Gott was. Ekel stieg in mir auf, ich wollte aufspringen und wagte es doch wieder nicht. Als er jetzt einen
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