Wir sind Gefangene
sich, wurde steinern amtsmäßig. Er maßt mich einige Sekunden scharf und sagte auf einmal schroff: »Kommen Sie mal mit!«
So, da hatte ich nun die Soße. Das Herz fiel mir in die Hosen. Beinahe hätte ich aufgeweint. Ich wurde zur Wache geführt. Es roch in der Wachstube sehr nach Tabak. Etliche Schutzleute saßen leger an einem Tisch, wandten sich phlegmatisch um, als wir eintraten, und einer sagte zu meinem Polizisten: »Was ist denn mit dem?«
Der Befragte lispelte ihm was ins Ohr und ging wieder fort. Ich stand verschüchtert da.
»Kommen Sie mal her«, sagte der Wachhabende, »setzen Sie sich dahin.« Hierauf nahm er einen Schreibblock aus der Schublade und begann zu fragen: »Wie heißen Sie?« Ich antwortete verdattert. Wann ich geboren wäre, woher ich sei, was mein Vater sei und was ich für einen Beruf hätte. Ich gab Antwort auf Antwort und sah mich schon im tiefsten Kerker. Der Mann schrieb alles auf. Als er mit dem Fragen zu Ende war, sah er mich scharf an, drehte sich breit zu mir her, stützte seine Arme in die Hüften und begann mich zu belehren. »Wie sind Sie denn zu den Leuten gekommen?« fragte er zwischendurch. Ich erzählte ihm alles und begann schon zu wimmern. Als er mich so hilflos sah, wurde sein Gesicht milder. Er klopfte mir sogar auf die Schulter.
»Junger Mann«, sagte er, »Sie sind noch jung. Schauen Sie sich nach einer Stelle um und halten Sie sich von dem lichtscheuen Gesindel fern. Das sind lauter Leute, die nichts arbeiten wollen und von allerhand unlauteren Geschichten leben.«
Ich hatte ihm von meiner Schwester Theres erzählt, und daß ich einen furchtbar groben Bruder zu Hause hätte und davongelaufen wäre und nun nicht wüßte, was ich tun sollte. Er schrieb mir die Adresse des nächsten Arbeitsamtes auf und riet mir, dort hinzugehen, da bekäme ich sicher eine kleine Bürostelle oder sonst einen Posten usw. »So«, schloß er dann, »jetzt dürfen Sie wieder gehen. Merken Sie sich das, was ich Ihnen gesagt habe tind lassen Sie die Finger von solchen Sachen.«
Ich sagte immerzu kleinlaut: »Jaja, jaja« und »dankschön« und ging wie betäubt zur Tür hinaus. Wie ein Stein fiel die Bedrückung von meinem Herzen. Aber daß meine Mutmaßungen von Bombenkellern und Verbrechern also doch richtig gewesen waren, freute mich direkt. Schier eitel war ich über meinen Scharfsinn, und trotzdem ich eine furchtbare Angst hatte, konnte ich meine Neugier nicht bezähmen. Diese Kerle, diese Anarchisten, dachte ich, die werden schon ihre Schliche haben, und mein Zimmernachbar weiß da sicher Bescheid, wie sie unbehelligt zusammenkommen. Ich ging eilig nach Hause und erzählte ihm mein Erlebnis. Der kleine, hurtige Mann schnellte vom Stuhl auf und rannte wie irrsinnig im Zimmer herum. »Jaja, aber Herr Graf! Herr Graf! Ja - was haba Sie denn gemacht, bedenka Sie doch! ... Da kann ich ja jedn Augablick feschtgenomma werda! Viellich schicka sie scho nach mir, die Chaiwasiach! ... Sakrament, Sakrament, isch das awa ungschickt!« Ich säbelte mit den Händen herum und beteuerte die Sache aufrichtig, aber er überrumpelte mich förmlich mit seinen Worten, fauchte umher und sah mich mit vorwurfsvollen Blicken an. Ich war wehrlos und stotterte: »Ja - ja, mein Gott, wenn ich das gewußt hätte!« Als er dann endlich erfuhr, daß ich gar nicht nach ihm gefragt worden war, beruhigte er sich etwas. Schließlich nahm er seinen Überzieher vom Haken, schlüpfte hinein, setzte seinen Hut auf und sagte gehend: »Ich muß das gleich berichta!« Ging. Ich ging ebenfalls kopfschüttelnd in mein Zimmer, fiel auf den Diwan und sann über das Vorgefallene nach.
Im Wortschwall des Schweizers kehrte des öfteren der Ausspruch wieder: »Dias kann Ihna sehr zum Nachteil gereicha. Sie sind von itz ab schon übl angschrieba bei der Polizei.« Was sollte das bedeuten? Ich ging zu Bett und konnte nicht einschlafen. Spät in der Nacht hörte ich den Buchbinder heimkommen. Was ging da vor? Das war wirklich sehr unheimlich.
Am Freitag sagte der Schweizer flüchtig zu mir: »Erseht am andern Freitig kommen wir wieder zusamma. Da könna Sie mitkomma.« Es wurde immer mysteriöser. Ich war gespannt wie ein Regenschirm. Sehen mußte ich das auf alle Fälle, und wegen dieses einen Males konnte mir doch schließlich der Kopf nicht abgehauen werden. Wenn man mich zum Fürstenmorden heranziehen wollte, so konnte ich ja immer noch sagen, ich wüßte nicht, wie eine Bombe losgelassen wird, oder ich hätte keine Waffe,
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