Wir sind Gefangene
nehmen. Er händigte mir außerdem einen Stempel aus mit der Aufschrift »Gruppe >Tat< des Sozialistischen Bundes, Treffpunkt: ...«
Den sollte ich jedem Flugblatt aufdrucken und unser jeweiliges Trefflokal hinschreiben, den Tag und die Stunde. Ich sagte immerzu »Ja« und war sehr erbaut davon, daß man mir sofort einen solchen Posten zuschanzte. Dann wurde die Sitzung geschlossen. Einige gingen durch eine Tür ins Gastzimmer hinauf, andere blieben noch sitzen und tranken ihr Bier aus. Viele zahlten und entfernten sich, einander »gute Nacht« wünschend. Mit uns ging ein Trupp von ungefähr fünf Leuten. Darunter waren Morax, Franz Jung, Ida, Theo und Georg, kurzweg »Schorsch« genannt.
Jung versprach beim Auseinandergehen, mich zu besuchen. Er hatte damals eben sein erstes Buch herausgebracht, und ich errechnete mir von dieser Bekanntschaft größte Vorteile. Jedem drückte ich die Hand. Allein mit dem Schweizer, war ich zwar sehr enttäuscht von dieser Anachistengruppe. Alles in allem überdenkend, verflogen meine ganzen schönen Illusionen. Trotzdem freute ich rnich. Schon weil ich dadurch zu Menschen gekommen war»
»Das ist ja sehr fein«, sagte ich im Treppenhinaufgehen zu meinem Zimmernachbarn und drückte die Pakete fester zusammen: »Dank schön für den feinen Posten.« Ich malte mir eine Ungeheure Tätigkeit aus und hielt mich in dieser Bewegung für unentbehrlich wichtig. Mein Talent hatte also doch seinen Entdecker gefunden. Mit Büchervertrieb und Zeitungen was zu tun zu haben, sie direkt vom Verlag geschickt zu bekommen, das eröffnete immerhin Aussichten auf Gedrucktwerden. Sofort setzte ich mich nachts hin und schrieb einen Artikel über die Unterdrückung und die Gerechtigkeit, suchte die Adresse im Sozialist und schickte die Sachen ab.
Andern Tages - die Freude und meinen Erfolg mußte ich wem erzählen - holte ich Theres nach langer Zeit wieder vom Geschäft ab. »Ich hab' jetzt eine feine Stelle«, sagte ich strahlend und lächelte siegessicher, »ich bin jetzt Sekretär bei den Anarchisten.«
Theres blieb förmlich erschrocken stehen und sah mich groß an: »Was - bei den Anarchisten?«
»Ja«, sagte ich und erzählte ihr, daß ich von nun an einen großen umfassenden Schriftenvertrieb übertragen bekommen hätte. Es sprudelte alles nur so aus mir vor Freude.
»Schriften- und Zeitungsvertrieb ...?« sagte Theres beinahe fassungslos murmelnd und schüttelte in einem fort den Kopf: »Hm, hm...« Aber ich hörte gar nichts.
»Und denk' dir nur, wie leicht ich die Stelle bekommen habe. Ich habe meinen Zimmernachbarn näher kennengelernt, bin mit ihm hingegangen und bin sofort angestellt worden«, plapperte ich hastig weiter.
»So ... Ja, das ist ja sehr schön«, sagte Theres, die die Sache nun wirklich zu begreifen schien, und fragte weiter: »Was bekommst du denn dort Gehalt ...?«
»Gehalt?« sagte ich und sah sie an, denn jetzt erst kam mir in den Sinn, daß die Leute ja davon gar nichts gesagt hatten, »Gehalt? ... Ja, das haben sie mir noch nicht gesagt ... Ich muß erst fragen.«
Schon wurde mir wieder wirr. Verflucht, daß ich aber auch das vergessen hatte.
»Ist das ein Büro?« fragte Theres weiter.
»Nein, gar nichts. Die Sachen kommen alle zu mir per Post, und ich verkaufe sie in Versammlungen, ich versende die Zeitungen und habe die ganzen Briefschaften zu erledigen und alle sonstigen schriftlichen Arbeiten für den Verband«, erzählte ich ihr.
Theres schüttelte immer und immer wieder den Kopf, sagte aber trotzdem: »Na ja, zu wünschen wäre es dir ja.« Und schon wieder fragte sie: »Ja, kannst du dich da nicht morgen schon erkundigen, was du bekommst und wie das alles ist? Das ist doch das erste, wenn ein Geschäft eine neue Kraft anstellt.«
»Das kann ich erst wieder am nächsten Freitag in der Versammlung«, gab ich ihr zur Antwort. »Die Mitglieder sind nicht alle Tage da.«
»Na ja, schauen wir halt einmal«, sagte Theres, als sie sich verabschiedete und sah mich besorgt an. Ich versprach, ihr sofort Bescheid zu geben oder am nächsten Samstag selber zu kommen und ihr alles zu sagen. Ich verteilte sehr viel Flugblätter, schickte eines an Nanndl und schrieb ihr hocherfreut von meinem neuen Beruf und Glück, und sie sollte ja Maurus nichts sagen. Auf den Anlagenbänken saßen Leute. Ich ging hin und bot ihnen den Aufruf zum Sozialismus an. Sie sahen sich träge das Heft an und gaben es mir wieder zurück. Am andern Freitag fragte ich Mühsam schüchtern:
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