Wir sind Gefangene
»Verzeihung, Herr Mühsam, meine Schwester läßt fragen, was ich da Gehalt bekomme und wie das ist mit meiner Anstellung?«
Morax, der daneben saß, brach in ein Gelächter aus. Mühsam sah mich beinahe mitleidig an und lächelte, legte mir die ganze Sache klar und fragte nach meiner sonstigen beruflichen Tätigkeit. Ich stotterte hinum und herum und schwitzte förmlich vor Verlegenheit. Wie ein eingeschüchterter Angeklagter vor einem plärrenden Richter stand ich da. Zuletzt - Morax hatte es den Danebensitzenden schon zugelispelt - lachte der ganze Saal und sah mich spöttisch an. Ich hatte das Gefühl, als öffne sich der Boden unter mir. Furchtbar dumm und über und über rot muß ich dagestanden haben und wartete nur, bis irgendwer sagte: »Setz dich.« Als ich mich dann endlich neben meinem Zimmernachbarn etwas gesammelt hatte, knirschte ich und dachte wütend: Also wieder alles verpfuscht! Hol' alles der Teufel! und sprach kein Wort mehr.
Ich ging nicht zu Theres, ließ überhaupt nichts mehr hören. All mein Mißgeschick kam mir immer deutlicher zum Bewußtsein. Wie schwer das doch war, in der Welt draußen zu sein! Wie gebildet, zungengewandt und abgebrüht man sein muß! dachte ich fort und fort und vor jedem, der sich da zurechtfand, hatte ich einen , wenn auch fast bitteren, maßlosen Respekt. Den Vertrieb gab ich trotzdem nicht auf und schrieb immer wieder neue Artikel, schickte sie ein und bekam nie Antwort. Meine bis jetzt entstandenen Verse sammelte ich und schickte sie an Mühsam mit einem sehr dummen Brief. Der gab sie mir zurück mit einer Empfehlung an seinen Verleger Steinbach. Ich sollte die Druckkosten bezahlen. Ich war ganz verzweifelt und ließ die Sache sein. Alles und alle verfluchte ich.
Mit meinem Zimmernachbarn wurde ich mehr und mehr bekannt. Wir besuchten die Versammlungen, und ich geriet so allmählich in die politischen Kreise. Es wurde mir halbwegs klar, was Sozialismus heißt, und viel Wissenswertes erntete ich in dieser Zeit. Mein Gesichtskreis erweiterte sich, meine Zunge wurde durch die andauernden Auseinandersetzungen mit Genossen und durch all die Broschüren einigermaßen geschmeidig. Es ging mir sehr schlecht. Und immer jagte mich die Sache mit Maurus' verbrauchten Spargroschen weiter, ich suchte verzweifelt nach irgendeinem Lebensunterhalt.
VIII
ZWEIMAL GEHÄNGT ...
Jung besuchte mich öfter. Er war alles andere als das, was ich mir unter einem Dichter vorstellte. Gleich am ersten Tag, als er kam, wollte ich mich mit ihm, in der Art wie früher mit Maurus, über Dichter und Dichtwerke unterhalten. Das interessierte ihn aber nicht im mindesten, im Gegenteil, erst hörte er kaum hin, und alsdann wurde er förmlich wütend über dieses Gerede. »Quatsch, Mensch!« stieß er mit seiner heiseren Stimme öfters heraus. Alles Literarische schien ihn anzuekeln. Er hatte fast stets ein finsteres Gesicht, und wenn er wirklich lachte, so klang dies mehr wiehernd und herausgestoßen, unfrei und nervös. Er redete stoßweise auf mich ein und schimpfte mich einen »Bürger«, als ich ihm schüchtern mein Leid klagte.
»Ob Sie ein Buch schreiben oder nicht, ist vollkommen unwichtig! Sie müssen doch erst mal ein richtiger Kerl werden, Mensch! ... Alles Quatsch!« predigte er mir und nagte dabei unablässig an einem Zündholz. Er kam fast täglich. Mir war er rätselhaft; alles was er sagte, klang fremdartig für mich, warm wurde ich nie bei ihm. Er sah meine Bücher an, wetterte über Schiller und sagte, ich solle mitkommen. Er lächelte ein wenig schief und meinte plötzlich: »Was braucht man heut' noch Schiller! ... Alles Blödsinn!« Ich ging mit. Er verkaufte die Bücher, nahm mich in eine Wirtschaft mit und vertrank mit mir das Geld. Ich ließ alles ohne Widerspruch geschehen, denn »Bürger« wollte ich auf keinen Fall sein. Wenn er kein Geld hatte und ich ebenfalls keins, packte er wieder Bücher, stieß irgend etwas heraus, wie etwa: »Ach, dieser Heine! Den Juden liest man heute längst nicht mehr!« oder »Den langweiligen Lenau darf ein Revolutionär überhaupt nicht haben«, nahm die Lessingbände, tobte über das Klassikerlesen, zog mich mit zur Antiquariatsbuchhandlung und verkaufte alles Mitgenommene. Ich getraute mich nie, etwas dagegen zu sagen und machte alles mit. Er steckte jedesmal das Geld zu sich und sagte finster: »Komm!« Dann gingen wir von einer Kneipe in die andere, und das Geld wurde vertrunken. War viel Geld da, wurde haufenweise Kognak bestellt,
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