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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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mit einem Bekannten Schmockers zusammen ein Zimmer in einer anderen Straße. Der war geizig, ekelhaft und pedantisch. Er sah den ganzen Tag Wanzen, wischte immer die Wände ab und wollte auch mich dazu zwingen. Ich ließ ihn ruhig spintisieren. Was gingen mich die eingebildeten Wanzen an, die mich nicht bissen!
    Die Polizei kam von da ab alle Sonntage in der Frühe um acht Uhr und durchsuchte meine Sachen nach sozialistischen Schriften. Jedesmal waren es zwei Kriminaler. Sie durchschnüffelten alles, rissen die Kleider heraus, die Bücher, durchstöberten meinen Koffer, ließen alles liegen und stehen und gingen mit einigen Flugblättern und Broschüren wieder weg. Mein Mitbewohner wurde wütend, schlug Krach. Ich schwieg, ging zu Schmocker und bat ihn, seinen Freund zu besänftigen. Es half nicht viel.
    Ich hatte kaum Brot und hungerte viel. Alle Tage ging ich zur Herberge der Bäcker. Keine Stelle war frei. Schorsch brachte manchmal Brot, Margarine und Kuchenreste. Mein Mitschläfer hatte eine gute Stelle. Er richtete seine ganzen Nahrungsmittel auf den Tisch, rückte diesen in der Frühe, bevor er wegging, ans offene Fenster, damit keine Wanze herankam. Ich hatte Hunger und nahm davon. Er machte Krach. Ich wurde wütend. Ich aß seinen Käse auf und sagte: »Du Hungerleider!« Vom Krach kam's zum Raufen. Ich warf ihn zu Boden. Er gab scheinbar Ruhe, ging weg. Spät in der Nacht kam er heim und fiel über mich her. Ich schlief schon. Das machte mich zu einem Rasenden. Ich sprang wie ein Tiger aus dem Bett, brüllte furchtbar auf und griff ihn an. Ein verbittertes Gehaue begann. Der Logisherr kam und schimpfte. Von unten herauf klopfte es. Wir hörten nicht auf, bis uns der Logisherr gewaltsam auseinanderriß. Beide waren wir blutüberströmt, beide legten wir uns zu Bett. Ich kündigte am andern Tag. Acht Tage bevor ich auszog, kam plötzlich wie aus den Wolken gefallen ein Brief von Eugen aus dem Hotel. Er war mit seiner Frau aus Amerika gekommen, um seine ledige Tochter zu holen. Ich eilte ins Hotel. Da saß ein fetter, gedunsener Mann mit einer hageren Frau und lachte mir breit ins Gesicht. Ich setzte mich hin. Er wußte alles. Emma und Theres, die für ihn seit jeher ein Faible hatten, erteilten ihm heimlich den Auftrag, mich auf den rechten Weg zu bringen. Er tat überheblich väterlich, gab mir etwas Geld, bestellte Essen für mich und versprach in den nächsten Tagen zu kommen, um mit mir das Weitere zu besprechen. Dann fuhr das Paar nach Hause.
    »Wenn du mir folgst, sollst du schon zu deinen Rechten kommen«, hatte er bei der Abfahrt am Bahnhof gesagt. Ich wartete gespannt der Dinge, die da kommen sollten. Zwei Tage darauf - ich saß allein in meinem Zimmer - kam Maurus bleich und finster daher. Als er die Türe auftat, wußte ich, was kam. Ich wich an die Wand zurück, gewärtig, daß er mich halbtot schlagen würde. Er aber blieb stehen, wutblaß und ein wenig zitternd. Er redete wenig, er sah mich furchtbar an. Ich schlug die Augen nieder.
    »Hast du wirklich das ganze Geld verbraucht?« fragte er. Ich nickte. »Kerl! Schuft!« zischte er und seine Stimme zitterte. Er war vor Wut dem Weinen nahe: »Mensch! Warum hast du denn derart hundsgemein gelogen? Warum hast du denn nichts gesagt, du -.« Er machte einen Schritt zu mir her. Jetzt mußte es angehen. Aber nein, ich fühlte den kalten Schweiß in meinen Achselhöhlen, ich schämte mich und war doch wieder froh, daß er es endlich wußte. Dreihundert Mark hatte ich ihm abgestohlen und verbraucht. Er erging sich in bittersten Vorwürfen. Es überwältigte mich, ich war stumm und dumm. Er bekam eine weinende Stimme und nun fing auch ich zu weinen an.
    »Weißt du, was du bist? Du bist der niedrigste Verbrecher, der gemeinste Schurke, den es gibt!« sagte er auf einmal. Ich sah auf. Er blickte mich mit aller Verachtung, die ein Mensch aufbringt, an. Dann ging er. Keinen Schlag hatte er mir gegeben, ja, aus seinen wütendsten Worten noch hatte etwas wie ein Weh geklungen. Es war fast so gewesen, als wollte er im Innersten sagen: »Mensch, Oskar! Mensch, warum warst du denn so saudumm! Warum hast du dir denn auch noch diesen Weg verbaut!« Ich saß da. Allein, völlig allein. Es war wirklich momentweise, als wäre alles um mich herum feindliche Finsternis.
    Ich schluckte. Ein Geräusch hörte ich draußen. Auf einmal fielen mir wieder die Logisleute ein, mein Mitschläfer, der jeden Augenblick kommen konnte, alles. Ich biß die Zähne fest zusammen, stand

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