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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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schnell auf, ging an das Waschbecken, wischte mir das Gesicht naß ab, kämmte mich und tat so, als sei nichts geschehen. Ich fing zu pfeifen an und merkte, daß ich noch immer zitterte. Ich stieß alle Gedanken an Maurus aus meinem Kopf und ging fort.
    Lange durchwanderte ich sinnlos und ohne jedes Ziel die Straßen. Es war tiefe Nacht, als ich heimkam. Diesmal ging ich ganz leise und sacht zu Bett, um meinen Zimmergenossen nicht aufzuwecken.

IX
IN DER MÜHLE

    Ich packte meine Sachen zum Auszug. Morax und Ida waren da. Es klopfte. Mein Bruder Eugen trat ein. Breit und überheblich blieb er stehen, schaute meine Besucher nicht an und grüßte sie auch nicht. Eine peinliche Pause trat ein.
    »Hast du jetzt Zeit?« fragte Eugen plump. Ich nickte. Morax und Ida erhoben sich und gingen schweigend aus dem Zimmer. »Komm«, sagte Eugen jetzt kurz.
    Ich schlüpfte in meinen Überzieher und folgte ihm. Auf der Straße begann er sodann seinen Plan mit mir zu besprechen. »Du mußt vor allem eine anständige Stelle bekommen. Nebenbei kannst du dann deine Dichterei vervollständigen«, sagte er. Ich nickte abermals. »Ich war soeben in der Tivolimühle beim Direktor und hab' mit ihm gesprochen. Er will dich gerne anstellen. Du mußt vorläufig etwas praktisch in der Mühle mitarbeiten, dann kommst du ins Büro. In den Abendstunden kannst du dann einen Schreibmaschinenkurs mitmachen und Stenographie lernen. Hast du etliche Jahre im Büro hinter dir, so kannst du austreten und eine bessere Stelle annehmen, wenn es dir nicht mehr paßt. Die Leute in der Mühle verlangen nicht zuviel von dir. Wir beziehen schon jahrelang das Mehl und sind eine von den besten Kundschaften dort«, sprach er ruhig. Das ging mir ganz gut in den Kopf. Es gefiel mir. Ich war sehr froh darüber. Eugen bat mich, sobald ich mein neues Zimmer bezogen hätte, in die Mühle zu gehen zum Direktor. Nachher könnte ich sofort eintreten. Ich dankte ihm, fragte, wie es zu Hause aussähe und wie es Mutter ginge.
    »Max heiratet in den nächsten Wochen«, erzählte er mir, »er hat so allmählich gestanden, daß er schon einen ledigen Sohn habe und ein andrer sei auf dem Weg. Er ist jetzt sehr kleinlaut und spielt den Scheinheiligen. Im Grunde aber spekuliert er bloß darauf, möglichst schnell das Anwesen in die Hand zu bekommen und uns herauszuwerfen. Das soll ihm aber nicht so leicht werden.« Ich sagte teilnahmslos: »Das geht mich ja schließlich nichts mehr an. Ich bin ja schon herausgeschmissen.« Eugen wurde nachdenklich.
    Wir gingen in einen Gasthof und aßen zu Mittag.
    Nachmittags auf der Straße trafen wir zufällig Schorsch und noch einen Mann aus der Gruppe »Tat«. Ich ging mit Schorsch beiseite und sagte ihm, daß ich ihn dieser Tage einmal besuchen würde. Als wir die beiden hinter uns hatten, fragte Eugen: »Was sind denn das für Leute?« »Anarchisten«, sagte ich.
    Eugen schüttelte den Kopf und lächelte. »Was wollen denn die?« »Wir wollen den Umsturz des heutigen Staates und die Schaffung eines Gesellschaftslebens auf gemeinschaftlichkommunistischer Basis. Wir wollen nicht mehr dienen, sondern jeder soll das gleiche Recht haben und den gleichen Besitz. Die Ausbeuterei muß aufhören. Ein Leben von Mensch zu Mensch muß kommen. Das wollen wir«, sagte ich überzeugungslos erläuternd. Ich hatte nun schon so viele Diskussionsreden gehalten, daß ich mich allmählich ausdrücken konnte, wie ich es für richtig hielt. Eugen lachte: »Ihr seid so Leute... In Amerika gibt es das alles nicht. Das ist ja der reinste Irrenhausunsinn.« Ich sagte: »Darüber können wir ja später einmal reden, wenn etwas geschehen ist.« Wir gingen wieder in meine Wohnung zurück. Ich bestellte einen Dienstmann, der meinen Koffer in mein neues Logis bringen sollte, und nahm von der Hausfrau, die mir immer gut gesinnt war, Abschied.
    »Solche Dinge wie das mit der Weltumstürzlerei mußt du dir aus dem Kopf schlagen«, sagte Eugen, »da kommst du nicht weiter. So was kann man sich denken, aber nicht tun. Das ist Unsinn. .. Bringt dir bloß Schaden.«
    »Wenn keiner es tut, geschieht überhaupt nichts Neues mehr auf der Welt. Dann ist's gleich besser, wenn wir uns sofort, nachdem wir das erkannt haben, eine Kugel durch den Schädel jagen«, gab ich zur Antwort. Eugen schüttelte immer nur den Kopf: »Du bist total verrückt.« Ich schwieg darauf.
    »Also, demnach kannst du morgen ja schon zur Tivolimühle gehen und dich vorstellen«, sagte er dann auf einmal, »dein

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