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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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verfluchte meinen Bruder und die ganze Welt. Aber es hieß einfach aushalten. Und so ging es jeden Tag. Die beste Arbeit, das Säckezubinden, verschafften sich die älteren Arbeiter, und ich hätte auch nichts zu sagen gewagt. Mit der Zeit gewöhnte ich mich auch etwas an die schwere Arbeit. Mochte auch alle Tage mein Hemd am blutigen Rücken kleben, einmal, so dachte ich, wird die Haut schon dick und widerstandsfähig. Hol' alles der Teufel!
    Ich wusch jeden Abend meinen Rücken mit kaltem Wasser und rieb mich mit Borsalbe ein. Einer war in der Mühle, der mir sagte, als ich ihm im Keller meine Schmerzen klagte: »Das ist erst recht schlecht ... Da wird die Haut nicht hart ... Anfangs tut das immer so weh.« Ich ließ es verzweifelt sein, biß die Zähne aufeinander und schleppte, schleppte. Es mußte eben gehen. Was sollte ich denn anfangen. Ich hatte kein Geld mehr, mußte schon am dritten Tag um Vorschuß bitten. Der Schreiber sah mich verächtlich an, gab mir zehn Mark. Ich wollte Eugen einen furchtbaren Brief schreiben, aber es ging nicht. Er wäre vielleicht Max in die Hände gekommen. Der wäre hereingefahren und hätte mich verprügelt. Ich unterließ es, schuftete weiter. Jeden Abend war ich wie tot. Die Glieder waren wie zerschlagen, die Füße hoben sich mühsam, der Rücken schmerzte und das Hirn war leer.
    Allmählich wurde ich mit den Arbeitern etwas bekannter. Ich machte Dummheiten, sie lachten. Es gab andere Arbeiten, auch sogenannte »Druckposten« darunter, wie zum Beispiel das Aufkehren des Kellers oder langes Auf-dem-Abort-Sitzen. Ich kam bald hinter diese Schliche. Manchmal, wenn wir im Keller zu viert oder fünft Säcke aufeinander stellten, kamen wir auch ins Gespräch. Allerhand Klagen wurden laut. Es wurde gemurrt. »Das wird immer so sein, wenn die
    Arbeiter sich nicht rühren«, sagte ich.
    »Ja! ... Rühren!?« warfen die andern ein. »Was soll man denn machen?«
»Kurzen Prozeß«, sagte ich frech.
    »Kurzen Prozeß, wieso?« fragten etliche und sahen mich an. »Einfach den Obermüller und den Direktor niederschlagen und die Mühle selber in die Hand nehmen«, setzte ich ihnen auseinander. Sie lachten, sagten: »Du bist ein ganz Wilder.« Ich sagte: »Solange die Arbeiter nicht anfangen mit der Revolte, solange wird es nichts.« Wieder lachten alle, aber einige blickten mich scheel an. Ich scherte mich nicht darum. Lieber hungern und betteln, als noch weiter so schuften, dachte ich. Aber das war mir nur schädlich. Der Obermüller wurde von dieser Zeit an grob zu mir. Es mußte ihm einer hinterbracht haben, daß ich so schimpfte.
    Arbeit gab's immer noch mehr. Vollkommen apathisch stürzte ich mich hinein, ging abends heim und rechnete, wie ich am schnellsten Geld zusammenbringen könnte.
    Nichts gönnte ich mir. Nur Geld wollte ich, um den ganzen Krempel hinwerfen zu können. Das war mein einziger Gedanke. Was weiter kommen sollte, kümmerte mich nicht. Geld! Schon wieder dieses Geld! Es war etwas Verruchtes damit. Es machte zum Dieb und zum Hund. Es richtete alles an einem zugrunde. -
    Schorsch kam öfters. Wenn ich wie totgehetzt in meinem Zimmer kauerte, sagte er: »Das ist Mist, was du da tust... Da mußt du heraus ,du gehst kaputt dabei.« Ich war ganz blöde und nickte nur immer wieder. Weil ich keine unnütze Ausgabe machen wollte, kaufte ich mir auch keinen Wecker und schlief oft nur etliche Stunden sehr unruhig, stand auf, kochte mir Tee und machte mich auf den Weg zur Mühle. Eugen ließ sich nicht mehr sehen. Von daheim kamen etliche Eßpakete, kein Brief lag bei. Woche um Woche verging. Überreizt, böse auf alles, lebte ich in vollkommener Abgeschlossenheit. Alles brachte mich in Erregung. Der kleine Hund meiner Logisjungfrauen bellte jedesmal, wenn ich zur Türe hereinkam, die drei Winslerinnen standen in Parade da und lächelten kriecherisch-freundlich, sagten: »Herr Graf, brauchen Sie Milch? Sollen wir am Ende heizen, oder legen Sie sich gleich zu Bett?«
    Oder sie jammerten, daß ich so schlecht aussähe. So abgehetzt und ruhelos dreinblicke. Was ging das die, ausgerechnet diese drei alten Jungfern an!
    Und immer, wenn sie so dastanden, krächzte das Hündchen aus irgendeinem Rock. Ich hätte sie alle anspucken können, so haßte ich all das. Die ganze Welt war mir zuwider. Ich war müde, unendlich müde. Was ging mich das Gejammer an? Und den Hund, den hatte ich schon lange richtig auf dem Strich. Der sollte bei nächster Gelegenheit das Maul gestopft

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