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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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lächelten ein wenig. Man wußte auf einmal nicht mehr, was man reden sollte. Mir wurde unbehaglich. Ich sprach etwas von meinen deutschen Genossen in Brione und verabschiedete mich an der Straßenbiegung.
    »Hoffentlich sehen wir uns jetzt öfter wieder«, sagte ich beim Händedruck und rannte eilig weg. Mit heißem Kopf und atemlos kam ich in Brione an und erzählte meinen Kameraden mein Erlebnis. Alle waren hingerissen. Sofort wollte man eine feierliche Huldigung veranstalten und den Fürsten aufsuchen.
    »Das ist deutscher Veteranenverein zu Bismarcks Todestag«, sagte ich und erhob Einspruch. Das traf. Ein Streit entstand. Man fühlte sich irgendwie verletzt und suchte sich verbissen zu rechtfertigen. »Es ist ganz etwas anderes um die Respektierung einer geistigen Leistung, die der ganzen späteren Menschheit einmal von großem Nutzen sein kann, als um den anerzogenen Fürstenkult, der niemandem dient und nur die Masse verdummt«, nahm Theo immer wieder das Wort und fuhr unentwegt fort: »Wenn es uns drängt, Kropotkin sichtbar zu ehren, so entspringt dieses Vorgehen unsererseits - ich möchte fast sagen - spontan unserem gesunden Menschenverstand.«
    »Spontan handelt der deutsche Veteranenverein auch«, sagte ich boshaft.
    »Sophist«, schrie Theo, und böse Blicke trafen mich. »Früher hat man seinen Kaiser oder sonst so ein Tier gehabt, jetzt habt ihr euch einen anderen Gott gebaut«, sagte ich aufstehend und fügte lächelnd hinzu: »Es ist eben immer das gleiche, der Mensch braucht seine Autorität, sonst kommt er um.« Innerlich halb getrennt, gingen wir auseinander.
    Es ist ein seltsam Ding um einen deutschen Revolutionär, dachte ich, durchs Dunkel schreitend, er ist wie der ewig zerklüftete Zwanzigjährige mit den unverdaulichen Idolen, der leibhaftige Don Quichotte mit dem ewigen Drang, ein Nazarener zu sein.
    Schwerer Duft hing in der Nacht. Der Mond durchwuchtete wanderndes Gewölk. In der Tiefe lag das lichtgespickte Locarno und griff in den bleichen Lago. Der dehnte sich friedlich wie eine bläulich-silberne Matte aus, und der Himmel stand hoch und unendlich weit. Kurz vor dem Einschlafen richtete ich mich plötzlich auf und sagte ganz laut vor mich hin: »Es ist ja Unsinn! Ich muß weg! Das ist ja alles Schleim.«

XI
DER BRUCH UND DIE RÜCKKEHR
IN DEN SUMPF

    Es ist nichts ohne Schlacken. Hol' der Teufel die italienische Schweiz! Es gab zu viel Eidechsen da. Diese gruseligen Tiere fürchte ich seit meiner frühesten Jugend. Meilenweit könnte ich laufen, wenn plötzlich ein solches Reptil sich in meiner Nähe bemerkbar macht! Und hier waren die Felsen gespickt voll, daß sich alles nur so bewegte wie ein einziger, hängender Schwärm.
    Und wenn es regnete, gab es Unmassen Feuersalamander. Die waren noch ekliger. Sie standen regungslos, mit etwas erhobenem Kopf da und glotzten einen eiskalt an. Ich wagte kaum mehr allein zu gehen, blieb immer auf der Straße, und zuletzt lag ich trotz des herrlichsten Wetters bis tief in den Nachmittag hinein im Bett und las; abends rannte ich nach Locarno hinunter und holte Schorsch von der Arbeit ab. Meine Schulden stiegen von Tag zu Tag. Der Kolonistenherr stand jedesmal, wenn ich ans Gartentor ging, dort und winselte mich an: »Herr Graf, wie steht's mit dem Bezahlen?« Ich vertröstete ihn und bat um die Rechnung, da ich dieselbe heimschicken müßte. Das war freilich alles gelogen, und es kam nie Geld. Aber was blieb übrig? Postalische Verzögerungen waren am ehesten glaubhaft. Als dann alles nichts mehr half, gab ich ihm die Adresse meiner Angehörigen und sagte, er solle selbst dorthin schreiben. Es kam, wie ich erwartet hatte, wieder nichts. Immer peinlicher, immer brenzliger wurde die Situation. Ich schrieb an Nanndl. Ein Brief kam, daß zwanzig Mark an mich abgegangen seien nach Locarno, poste restante . Jeden Tag zeigte ich meinem Hausherrn den Brief. Jeden Abend ging ich nach Locarno zur Post. Nichts, gar nichts kam an. Immer nahm der Postbeamte ein Bündel Postanweisungen, blätterte phlegmatisch durch und sagte teilnahmslos: » Niente .« Ich wurde wütend, schlug Krach, hieß die ganzen Postleute Diebe, Idioten und wurde festgenommen. Nach dreistündiger Haft in einem kahlen Zimmer kam ein deutsches Postfräulein und fragte mich aus. Ich erzählte ihr mein Unglück und zeigte den Brief Nanndls. Sie war sehr freundlich und machte selber ein ratloses Gesicht. Plötzlich schien ihr ein Licht aufzugehen. »Das Geld kann am Ende irrtümlicherweise

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