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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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wieder. Und tatsächlich ging das Geflüster und Herumglotzen wieder an. Auf einmal stockte es eine Zeitlang. Wir packten schnell und zugleich unsere Prügel und warfen sie mit aller Gewalt an die Wand, markierten ruhig die tief im Schlaf Schnarchenden und horchten gespannt.
    Plumps tat's. Erst war es einen Moment totenstill, dann tauchten die Gesichter wieder im Loch auf, entsetzt bewegten sich die Augen. Wir verbissen das Lachen. Ein aufgeregtes Gezirpe ging drüben, dann hörten wir eine Tür gehen und bei uns klopfte es.
    Wir waren zu allem bereit. Trotzdem riefen wir mürrisch, wie aus tiefem Schlaf aufschreckend: »Ja! ... Was ist denn los?!«
    »Es ist was passiert«, winselte es. Wir krochen aus den Betten, packten schleunigst unsere Prügel, steckten sie unter die Decken und öffneten dann. Da standen die drei in langen Hemden und schlotterten ängstlich. Einer leuchtete im Gang umher. Sie wollten zu suchen anfangen. Wir sagten mürrisch, sie sollten uns mit solchen Spaßen in Ruhe lassen und krochen ins Bett. Heimlich schüttelten wir uns vor Lachen.
    Lange hörten wir die drei noch herumgespenstern, dann legten sie sich endlich wieder schlafen. Von da ab war aber das Gelispel und Geglotze durch das Kaminloch aus. Manchmal kam es noch vor, aber auch wir gewöhnten uns daran und ließen die Leute machen, was sie wollten.
    Wir sahen nun bloß alle Abende einen anderen Geist und versetzten oft das ganze Hausvolk in Aufregung. Eine weiße Katze ging um. Ein nächtliches Gespenst durchwandelte die Weinhänge. Aber nicht das Aufgeregtmachen allein war unsere Absicht. Wir verwirrten mit aller Berechnung. Wir hatten kein Geld und wußten nicht, wie wir das Logis begleichen sollten. Jedesmal, wenn der älteste Kolonist an uns herantrat, zitterten wir heimlich. Wir lasen es in seinen Augen und fingen sofort die unheimlichsten Geschichten zu erzählen an. Der gute Mann kam gar nicht erst zum Wort, wir waren erfinderisch wie die gewagtesten Dichter. Kopfschüttelnd zog der Hausherr ab. Kein Geld! Also arbeiten! Mir fiel mit Schaudern die Mühle ein. Der Zirkel unserer Kameraden bestand außer uns noch aus sechs Leuten: Grobmaier, ein echter Münchner mit seltsam verworrenen Siedlungsideen, seine Frau und ein Bub. Dann Jenke, der Dekorationsmaler aus Sachsen, Giuseppe, ein Münchner Schlosser gutmütig und martialisch gewachsen, immer ein seltsam linkisches Lächeln auf den Lippen, endlich Theo mit seiner Grete. Jeder hatte sich eine Behausung zurecht gemacht und arbeitete nur zeitweilig, um die Mußestunden seiner freien Entwicklung widmen zu können. Es waren eigentlich alles Leute mit einem geheimen Hang, sogar mit einem leisen künstlerischen Einschlag. Das Innere war das Wesentliche, und die Aufgabe des echten Anarchisten hieß: Sein Äußeres nach dem Gesetz des innersten Dranges zu formen, in größter Freiheit, uneingeschränkt, möglichst unberührt von der »Kultur«.
    Theo war die leitende Intelligenz. Es wurde viel diskutiert. Pläne wurden entworfen für eine spätere anarchistische Siedlung in Brasilien.
    Gobmaier war der praktischste von allen. Von Beruf Tapezierer, konnte er alles und sah darin den größten Fortschritt, wenn ein Mensch sich alles zum eigenen Lebensbedarf selber herstellen konnte, das Haus bauen, die Kleider schneidern, das Land bebauen. Er arbeitete unablässig, und in den Freistunden schrieb er naive Verse auf den Lago Maggiore, Freiheitsgedichte und Gedanken. Jenke war radikaler Vegetarier, ergab sich mehr der Natur, malte kleine Bildchen und rechtfertigte in Tagebuchnotizen den Vegetarismus. Er war sehr sanft und verbrachte viel Zeit, seine Verdauungstheorie einzuhalten und sie anderen plausibel zu machen. Darin war er, wenn es auch drollig aussah bei ihm, fast fanatisch. Wenn wir zu ihm kamen, las er uns Stellen aus Nietzsche oder aus Forel vor. Aber alles lief dabei auf den Vegetarismus hinaus. Als ich einmal sehr pathetisch das Nachtlied Zarathustras vorlas, sagte er ganz verzückt: »Der Mann war bestimmt ein Vegetarier!«
    »Sehr nett«, sagte ich einmal, als er mir seine Bildchen zeigte. Darob wurde er böse, nahm mich und führte mich vor seine Türe, fing an, mir die Natur zu erklären. Dabei hob er seine Hände wie Scheuklappen vor die Augen und sagte, in die Landschaft blickend: »Ich sah äbn da blau, nich wohr - und mal's äbn so hin. Das ist fr mich Gunst. Ganz so wie äbn die Nadur äs gibt.«
    Ich nickte immerzu. Wieder ins Haus tretend, meinte er: »Nur 'n bißl ä

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