Wir sind Gefangene
Stimmung empfing uns. Schorsch war schon wieder unschlüssig. Ich ärgerte mich.
»Geh du nur zurück in deinen Stadtsumpf!« sagte Theo zu mir. Ich nannte ihn einen Feigling wegen des Urwaldgehens. »Dann könnt' ihr doch gleich ein Kloster aufmachen, wenn ihr den Kampf gegen unsere Länder nicht aufnehmen wollt«, wetterte ich. Ein erregtes Hin und Her entstand. Feindselig ging man auseinander. Drei Tage verrannen, ohne daß ich mein Zimmer verließ. Ich vertiefte mich in alle sozialistischen Schriften, so gut es ging. Ich lernte viel dabei. Es ging mir langsam auf, daß man zu den Massen gehen müßte. Oft im Lesen entwarf ich gigantische Pläne, heiß und kalt wurde mir dabei. Schorsch kam nicht. Ich schlich in sein Molino (Mühle) hinunter. Alles war abgesperrt. Ich ging zu Theo hinaus. Nur Grete war da. Sie empfing mich mißtrauisch. »Wo sind denn die andern?« fragte ich. »Nach Italien hinein«, antwortete sie kurz. »Verflucht -« brummte ich und dachte schon, sie seien auf und davon.
»Warum sagt ihr uns nicht, was ihr im Sinne habt?« fragte Grete gereizt.
»Was sollen wir denn im Sinne haben?«
»Na, allerhand! ... Du willst Schorsch abspenstig machen, damit er mit dir geht«, gab sie wie vorhin zurück.
»Was geht einen Revolutionär Brasilien und der Urwald an«, sagte ich mürrisch. »Jaja, das ist dein altes Schlagwort«, fuhr sie mich an. »Wann kommen Sie denn wieder?« fragte ich dagegen. »In zirka acht Tagen«, antwortete Grete.
»Herrgott, hol alles der Teufel!« fluchte ich und ging. Es vergingen acht Tage und Theo und Schorsch kamen zurück. Sie hatten eine Fußwanderung bis Mailand gemacht. Mein Freund war schon wieder ganz für Brasilien. Jetzt mußte sich etwas entscheiden. Auf langen Spaziergängen machte ich Schorsch auf sein Malertalent aufmerksam. Wir überlegten hin und her. Die Kameraden waren zu pflanzlich für uns, zu ethisch, zu verworren. Und meine Schulden wurden tagtäglich unerträglicher. Es war auch schon wieder alles so langweilig. Man bekam keine Post, am Ende der Welt war man und wußte nicht, was in den Städten vorging. Es war zu still da, zu gemütlich, zu reizlos. Der blaue Himmel allein machte es auch nicht. Ach - und überhaupt!
»Wir fahren wieder zurück in unseren Sumpf, diese ganze Naturtrottelei kann mir gestohlen bleiben! ... Das ist was für Verdauungsphilister und Grasfresser! ... Das ist kein Leben!« sagte ich angewidert.
Schorsch nickte. Auch er haßte diese Art Gemütlichkeit. Tranken wir manchmal Schnaps und viel Wein, erhob sich sofort ein Sturm der Entrüstung bei einigen Anarchisten, rauchten wir, hieß man uns dekadent.
Wir wollten leben und die wollten sich, schien es, nur einrichten. Brasilien war nichts. Wir gingen zu Theo.
»So«, sagte auf einmal Schorsch und rülpste seinen letzten Schnaps auf, »jetzt sag' ich es: Wir gehen wieder zurück in den Sumpf.« Er brachte es pathetisch heraus und doch wieder so wie ein plötzlich selbstbewußt gewordener Spießbürger. Ich hätte beinahe gelächelt. Theo wurde blaß vor Wut. Dann lächelte er höhnisch und sah mich an.
»Wir sind ja keine Napoleone! Auch mit dem Kopf nicht«, spöttelte er.
»Ich auch nicht«, erwiderte ich ungetroffen. Von da ab stand man sich ein wenig fremd gegenüber. Es war etwas da, was sich zwischen uns gestellt hatte.
Schorsch schrieb um Geld an seinen Bruder, der sein Vermögen verwaltete. Keiner wußte etwas. Ich packte meine Schachteln und schaffte sie heimlich in den Molino hinunter. Schon vor zirka vierzehn Tagen hatte Schorsch seine Arbeit bei dem Konditor in Locarno aufgegeben. Nach einem wüsten Trinken in einem Ristorante zogen wir nachts vor das Haus Jenkes, des Verdauungsphilosophen, und sangen grölend Sauflieder. Dann suchten wir Theo auf und sagten ihm Bescheid. Er und Grete kamen am andern Tag mittags nicht zur Bahn. Wir stiegen ein und der Zug fuhr los.
»Ach Mensch, das Leben ist ja noch so lang und so lustig!« sagte ich befreit zu Schorsch, und auch der atmete auf.
Am Pfingsttag kamen wir in München an. Mit der letzten Mark fuhr ich anderntags nach Hause. Schon in der Stadt gafften die Leute nach mir. Verschlampt, mit langen Haaren, wie ein Wilder kam ich daher. Die zivilisierte Umgebung war mir halbwegs fremd geworden. Herrlich war der Tag. Groß und weit spannte sich der klare Himmel über den Starnberger See. So vertraut und so nahe war mir wieder alles, als war ich nie weggewesen. In Leoni stieg ich aus dem Dampfschiff und ging den Berg
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