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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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nach Lugano geschickt worden sein«, sagte sie und sah mich einnehmend an.
    »Was geht das mich an!« polterte ich. »Beruhigen Sie sich, Herr Graf, ich werde sofort dort anfragen lassen«, sagte sie höflich. Sie lächelte nur über mein finsteres Gesicht. Ich wurde rot und verlegen, aber plötzlich, um meine Unsicherheit zu verbergen, geriet ich wieder in Wut und brummte: »Ja, warum hat man denn das nicht schon lang getan, ich bin doch schon genug aufgefallen!«
    Das Fräulein lächelte wieder: »Aufgefallen sind Sie gewiß.« »Ich möchte das Beschwerdebuch«, fiel ich ihr ins Wort. Ganz unvermittelt kam mir in den Sinn, daß mein Vater einmal erzählt hatte, daß man sich bei jeder deutschen Post im Beschwerdebuch beklagen könne. Das sei ein Buch, welches an jedem Jahresschluß der Regierung vorgelegt werden müßte. Wartet, dachte ich, als mir dies nun recht bewußt wurde, ich werde euch die Suppe schon richtig versalzen. Ich freute mich über diese plötzliche Waffe und formulierte im Hirn schon meine Beschwerde. Aber das Fräulein war nicht aus der Ruhe zu bringen und lächelte immer noch. Sie erhob sich und gab mir einen Schein, auf den ich die genaue Adresse schreiben mußte. »So«, sagte sie dann, »ich lasse sofort nachfragen, sicher bekommen Sie in etlichen Tagen Ihr Geld zugestellt.« Sie blieb stehen, musterte mich wieder und sagte mit einer milden, zwingenden Lehrhaftigkeit: »Herr Graf, die Deutschen sind alle so im Ausland, als müßte alles nach ihnen gehen! ... Das ist ein großer Fehler.«
    Ich schaute sie verdutzt an und schwieg benommen. Dann verließ sie mich. Ein Polizist kam und ließ mich hinaus. Ich ging durch die dunkelnden Korridore und kam auf die nachtenden Straßen. Als ich in Brione angekommen war, suchte ich sofort Schorsch auf und schimpfte furchtbar wegen seiner Aufschneidereien über die freie Schweiz. »Das war' mir noch das richtige Volk, diese Herrn Schweizer! Lauter Postdiebe und Spitzel sind da, Vegetarianer und Verrückte! Alte Jungfern und ethische Professoren!« raisonierte ich, worauf mein Kamerad nur immer wieder sagte: »Du bist ja ein Idiot!«
    Gott sei Dank war es schon spät in der Nacht, als ich heimkam, und meine Hausleute schliefen schon.
    Am andern Tag klopfte es sehr früh. Ich sprang aus dem Bett und freute mich schon. Ah, dachte ich, das Beschwerdebuch hat eben doch gewirkt! Da stand der Briefbote und übergab mir eine Zustellung von der Polizei. Ich müßte mich um elf Uhr melden, hieß es.
    »Spitzel! Spitzel hinten und vorn!« knirschte ich und verwünschte Schorsch und die ganze Schweiz. Ich kleidete mich an, kochte mir Tee und ging nach Locarno hinunter. Am Gartentor stand schon wieder der Vermieter und winselte seine ewige Bitte.
    »Ich muß jetzt auf die Polizei«, brüllte ich ihn an, daß er direkt zurückschrak.
    Auf der Polizei wurde mir ein langer Brief gezeigt, den mein Bruder Max an das hohe Amt geschrieben hatte und in welchem behauptet wurde, daß ich unter die Anarchisten geraten sei, und daß meine Mutter sich die Augen ausweine. Meine sofortige Ausweisung wurde verlangt. Der Beamte konnte wieder nur gebrochen Deutsch. Er saß vollkommen unbeteiligt auf seinem Drehstuhl, schob mir den Brief hin und beschäftigte sich, ohne sich weiter um mich zu kümmern, mit dem Aufblättern eines dicken Buches. Wahrscheinlich wird man jetzt meine Ausweise verlangen, war mein erster Gedanke, und ich machte mich auch schon mit dem Abschubsen vertraut. Einerseits gut, kalkulierte ich, so kommst du billig wieder aus diesem Mistland. Aber der Herr auf dem Drehstuhl schien überhaupt nichts von mir zu wollen. Er hörte auch gar nicht hin, wenn ich sagte: »Das ist nur Denunziation!« Gemütlich suchte er in seinem Buche weiter. Dann kam ein anderer Herr, sah mich ruhig an und fragte, ob ich arbeite. Ich gab vor, für Zeitungen zu schreiben und freier Schriftsteller zu sein, sagte, daß der Brief nur aus Haß und Rachsucht geschrieben worden sei und begann sofort, als ich sah, daß der Mann mir ruhig zuhörte, meine ganze Lebensgeschichte zu erzählen. Als ich ungefähr so in der Mitte war, legte man mir ein Papier vor, auf dem etwas stand von Fremdensteuer und bat mich, zu unterschreiben. Ich tat's und konnte bald wieder gehen.
    Auf der Straße triumphierte ich über Max' fehlgeschlagene Aktion.
    Ich war schon wieder ganz versöhnt mit der Polizei und mit der Schweiz, suchte Schorsch auf und erzählte ihm alles. Dann gingen wir ins alkoholfreie Restaurant am

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