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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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hinangingen, kam uns ein weit ausgreifender Mann entgegen, der aussah wie ein Zigeuner. »Das ist Theo!« sagte Schorsch und schrie auf einmal diesen Namen laut auf. Der Fremde lachte strahlend und kam uns mit offenen Augen entgegen. Es war tatsächlich unser Genosse Theo aus der Münchner Truppe »Tat«. Er flüchtete seinerzeit, als man ihn zum Militärdienst einziehen wollte, aus München und führte seitdem hier ein Naturleben, das anarchistischen Grundsätzen näherkam. Außer ihm waren noch drei Kameraden da. Wir freuten uns und erzählten in aller Eile unsere Erlebnisse. Langsam stiegen wir höher und höher. Die flachen Hausdächer von Locarno und Minusio sanken mehr und mehr in die Baumkronen hinab. Der See dehnte sich breit und überstrahlt aus. Ein Dampfboot walkte gemächlich durch die Flut. Fern durch die gläserne Luft stachen die glatten, viereckigen Häuser von Dörfern des anderen Ufers und die weichgeschwungenen Lenden italienischer Vorberge wogten friedlich in den Himmel... Theo führte uns in seine Behausung und holte die Kameraden. Grete, seine Freundin, gab uns zu essen. Es wurde beschlossen, zur christlichen Kolonie »Liebe« zu gehen, deren Inhaber Theo bekannt war, und uns dort unterzubringen. Das war ein modern gebautes, villenartiges Haus mit Weinhängen und viel Gemüsebeeten. Eine fromme Gemeinschaft hauste hier nach christlichen Grundsätzen. Der Älteste empfing uns sanft und stellte uns für zehn Franken pro Monat ein Zimmer zur Verfügung. Wir brachten unser Gepäck und richteten uns ein. Mittlerweile war es Abend geworden.
    Todmüde und befreit legten wir uns auf die Matratzen. Als wir kurze Zeit so lagen, hörten wir auf einmal ein geschäftiges Wispern an der Bretterwand. Wir lauschten aufmerksamer, sahen uns im Zimmer um, das eigentlich nur ein Verschlag war. An der Bretterwand, die uns vom andern Raum trennte, fing es plötzlich zu kratzen an, so fast, als wolle sich eine Katze festkrallen. Uns wurde merkwürdig zumute. Der volle Mond erleuchtete das Zimmer. Wir sahen oben durch die Wand ein blechbeschlagenes Loch, das wahrscheinlich dazu diente, das Kaminrohr durchzustecken. Ich stieß Schorsch an und raunte ihm leise zu: »Hörst du?« Er nickte. Wir lauschten abermals und richteten aus irgendeinem Grunde unsere Blicke immer aufmerksamer auf das Kaminloch, denn da herüber kam das Gelispel und Gekratze. Da plötzlich tauchte ein Gesicht im Loch auf. Deutlich sahen wir es. Dann wieder eins und verschwand. Wieder lispelte es, und neuerdings kam ein Gesicht zum Vorschein. Wir blieben ruhig, aber etwas kampfbereit liegen. Unwillkürlich dachte ich an die unheimliche Erzählung vom Wirtshaus im Spessart und an dergleichen Dinge. Und da mir so was Grauenhaftes immer große Anregungen gegeben hatte, konstruierte ich natürlich allerhand für mich zusammen.
    Ganz nah an Schorsch heranrückend, hauchte ich ihm ins Ohr: »Schöne Christen, das! Mensch, paß' auf, hau' nur gleich fest zu! Nicht lang gefragt!«
    Was hatten denn diese Kerle da drüben für ein Interesse, uns nächtens so aufmerksam zu bewachen, warum lispelten sie, und was besprachen sie da? Das waren sicher heimliche Verbrecher mit christlichem Schleier, oder - was näher lag, da uns unsere Kameraden von Spiritisten erzählt hatten - sie suchten Geister in uns. Wir waren sehr müde und bekamen allmählich eine furchtbare Wut über diese Schufte, die uns nicht schlafen ließen. Ich stieß Schorsch wieder und raunte leise: »Komm, wir wollen aufstehen und allerhand mysteriöse Gesten machen.« Wir erhoben uns mit einem Satz aus den Betten und fingen einen Heidenlärm an, sagten mystische Gedichte her, schwärmten den Mond an, knieten wie Muselmänner nieder und geisterten umher wie Gespenster. Zuletzt zogen wir uns nackt aus und machten Beschwörungstänze, ohne darauf zu achten, was im Loch geschah. Und richtig — die Geräusche wurden weniger, das Geflüster nahm ab, kein Gesicht erschien mehr. Es wurde ruhig. Lachend stiegen wir auf unsere Matratzen. Aha, dachten wir, wußten aber eigentlich gar nicht warum.
    Wir schliefen endlich ein. Anderntags erzählten wir unser Erlebnis unseren Kameraden. Die sagten nur, es wären eben eigenartige, ein bißchen konfuse Leute, diese Kolonisten, und wußten auch nichts Besonderes. Sie berichteten uns weiter, daß sie manchmal spiritistische Sitzungen abhielten und einer Sekte angehörten. Wir stiegen auf einen Berg und schnitten dicke Prügel, nahmen sie mit ins Bett und lauerten

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