Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
Vom Netzwerk:
nicht mehr nach München«, antwortete er.
    Ich ging zu Jung und fragte ihn, was ich tun sollte. »Freiwillig ... Die Sache wird fein! Lüttich ist schon genommen. Es geht wie mit einer Maschine«, war dessen Antwort. Und wieder sagte er: »Im Nu ist Paris genommen.« Ich kannte ihn nicht mehr. Der war doch durchaus nicht anders wie alle die, die jetzt in einem fort in dichten Massen in der Stadt herumzogen und in wilder Kriegsbegeisterung patriotische Lieder brüllten! Sonderbar, wo war denn sein ganzer Anarchismus hin?
    Das Cafe des Westens war leer. In allen Kneipen, wo wir gezecht hatten, tauchte Jung nicht mehr auf. Er und seinesgleichen waren total verschwunden. Ich stand allein auf weiter Flur, allein und mir selbst überlassen. Wo waren sie alle hin, die mich gelehrt hatten, daß ein Anarchist dem Staat auf keinen Fall dienen darf, daß er vor allem jeden Militär- und Kriegsdienst unbedingt verweigern muß? Als Kriegsfreiwillige waren sie in Scharen in die Kasernen gelaufen! Eine ungeheure Enttäuschung, Wut, Haß und Ekel vor diesen Schwätzern erfaßte mich.
    Aber wie jetzt weiterleben? Ich wohnte noch immer bei den Jungs. Da war jetzt Margot, seine Frau, und deren alte, immer jammernde Mutter. Wir gingen ins Cafe des Westens , um irgendwen anzupumpen. Es waren nur noch etliche gleichgültige Gäste und greisenhafte Lebemänner da. Margot erborgte schließlich vom Kellner etwas Geld, sagte: »Komm!« und wir gingen. Draußen auf der Straße winkte sie einem Fiaker, und wir fuhren in die Gegend des Schlesischen Bahnhofs. Während der Fahrt erzählte sie von einem ihrer Freunde, der nebenher in einem kleinen Keller eine PischingerTorten-Fabrik unterhielt. Wir fuhren dorthin und fanden an einem langen Tisch sitzend sieben Packerinnen, die die schokoladenüberzogenen, fertigen Torten in Schachteln verpackten. Wir grüßten freundlich und sagten, der Chef wäre eingerückt, und jetzt würden wir den Betrieb weiterleiten. Dann nahmen wir von den Stellagen viele volle Schachteln herunter und trugen sie hinauf zu unserem Fiaker, indem wir zu den Packerinnen sagten, das wäre eine große Bestellung. Dann fuhren wie in die Wohnung in der Berliner Straße. Immerhin waren wir jetzt für eine Zeitlang mit Essen eingedeckt. Das geschah an einem Mittwoch. Am andern Tag holten wir abermals einen Schwung von vollen Schachteln, dann sagte Margot: »Nu is's wieda Essig mit dem.« Die Woche ging zu Ende, und das Personal sollte bezahlt werden. Es sah mau aus.
    Die Straßen waren brausend. Sieg auf Sieg schrie aus den fettgedruckten Anschlägen. Mir wurde heiß unter den Füßen. Ich hörte, daß man sich nach auswärts freiwillig melden könnte. Ich ging auf die Wilmersdorfer Polizei und meldete mich freiwillig zum 3. Infanterieregiment nach Augsburg. Man stellte mir einen Zettel, der als Fahrschein galt, aus. Ich sauste zu Jung, packte meine Habe zusammen, fuhr zum Anhalter Bahnhof, stieg auf die Bahn und landete nach viertägiger Fahrt in München. Es kam mir nicht in den Sinn, mich in Augsburg zu melden. Da war immer noch Zeit. Ich wollte nach Hause, wollte Schorsch sehen und abwarten.
    Es war eine schöne, beinahe idyllische burschenschaftlerische Fahrt durch das halbe Deutschland. Überall auf den Bahnhöfen warteten Rotkreuzleute und fütterten uns dick. Die ganzen Coupes waren voller Brotreste, Wurststückchen und Käsebrocken.
    Jedenfalls, das ist fein, zu fressen gibt's, scheint es, im Krieg immer, dachte ich und erinnerte mich an die Geschichten, die mir mein Vater immer vom Feldzug Anno 1870/71 erzählt hatte.
    In München war es totenstill. Das tat fast wohl. Da sah man - es war allerdings schon nach Mitte August - keine Rottungen, die Straßenbahnen fuhren wie immer, die Leute gingen dahin, das Kaufhaus Tietz stand noch da und der Justizpalast.
    Ich fuhr zu Schorschs Mutter und fragte nach ihm. Der sei nach Augsburg als Koch, liege aber jetzt im Krankenhaus, erfuhr ich. Todmüde suchte ich ein Modell auf und schlief dort. Max, mein ältester Bruder, das wußte ich, war längst eingezogen. Maurus wollte ich gar nicht treffen. Also konnte ich nach Hause. Am dritten Tag stand ich in der offenen Küchentüre unseres Hauses und lachte hellauf: »So, jetzt haben wir wenigstens einmal Spektakel. Das wird ja fein!«
    Ich kümmerte mich überhaupt um nichts. Meinetwegen konnten sie Krieg führen, mich ging das nichts an.
    Maxens Frau war da, die Kinder lungerten herum und Theres, Emma und Mutter waren auch wieder

Weitere Kostenlose Bücher