Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
Vom Netzwerk:
und war Redakteur einer Handelszeitung. Wenn ich mit seiner Frau daheim war, mußte ich ihr bayrische Lieder vorsingen, oder wir gingen ins Cafe und lauerten auf Leute, die Geld hatten. Es gab oft wüste Auftritte bei Jung. Die beiden schlugen sich. Ich wurde beschimpft als der Schuldige. Meistens nach so einem Krach gingen Jung und ich weg und tranken oft zwei bis drei Tage. Alle Verbindungen mit zu Hause waren zerrissen. Ich hängte mich an Jung. Schließlich gab es Streit zwischen ihm und mir. Ich schlief eine Zeitlang heimlich bei Richard Oehring und ging mit den zwei Brüdern. Nichtsnutzig verfloß die Zeit. Es wurde mir ekelhaft. Ich war unzufrieden. Des öfteren besuchten wir Versammlungen der Anarchisten oder verbrachten die Tage auf Rummelplätzen. Nichts geschah. Ich borgte mir von Richard Geld und ging auf die Zimmersuche. Ich wollte allein sein und mein eigener Herr, irgend etwas anfangen.
    Die Nachricht von der Sarajewoer Mordaffäre durchschütterte die Welt. Telegramme kündigten die Mobilmachung Rußlands an. Dann die deutsche. Ein ungeheurer Ausbruch von Jubel fieberte über die Straßen. Alles hetzte. Zusammenrottungen entstanden, die Kasernen standen voll von Freiwilligen. Durch die Straßen sausten Autos mit Offizieren, die mit Hochrufen begrüßt wurden. Schwerbepackte Lastautos mit Militärkleidern, Stiefeln und Helmen ratterten daher. Dort mengten sich Menschen zusammen, stürmten gegen ein Cafe, das einen fremdsprachigen Namen hatte und schlugen alles kurz und klein. Auf einem Platz jagte eine Rotte einem Menschen brüllend nach, schlug ihn tot, sang Deutschland, Deutschland über alles ! Durch lange Straßen wälzten sich graue Regimenter, umjubelt vom Volk, von Bürgern, feinen Herren und Damen. Es war ein furchtbares Treiben und Hasten. Tag und Nacht durchdröhnte die Musik patriotischer Lieder und schaudervollster Geschichten von Spionen, von ersten Zusammenstößen mit dem Feinde, die Luft. »Jetzt geht's los!« sagte ich. »Alles wird wegrasiert«, sagte Jung.
    Die Intellektuellen des Cafe des Westens machten ratlose Gesichter. Auf einmal hatte alles aufgehört, was gestern noch so wichtig gewesen war. Alles hing in der Luft. Unzählige meldeten sich freiwillig. Warum wußte keiner recht.
    »Wird eine feine Sache. Man muß mit den Betoneuren gehen«, sagte Jung. Er war ein Verzweifelter. Ich verstand das Wort nicht, verstand ihn nicht und schaute ihn dumm an. Ich ging zu Oehring. Der Herr Telegraphendirektor empfing mich förmlich mit offenen Armen: »Kommen Sie herein! Jetzt, in dieser Stunde, schweige jeder persönliche Zwist. Wir sind Deutsche! Deutsche! Kommen Sie!« Und er führte mich diesmal ins Wohnzimmer, wo Richard und Fritz bei ihrer Mutter saßen. Das war die ganze Zeit noch nie vorgekommen. Der Tisch war zum Biegen gedeckt mit Speisen, dicken Zigarrenschachteln und Zigaretten. Die beiden Brüder sahen mich verdutzt an.
    »Ich stehe mit dem letzten Blutstropfen hinter euch, meine Söhne, mein Alles!« rief der Telegraphendirektor und deutete auf mich: »Hier, auch Herr Graf meldete sich in dieser ernsten Stunde freiwillig. Das Vaterland ruht tief in unserem Busen.« Er hob das Weinglas und rief fast singend: »Mit Gott für euch und unseren Kaiser, für das Vaterland und unsere Ehre! Wohlan!«
    Ich glotzte zuerst, dann konnte ich das Lachen kaum noch halten. Dennoch brachte ich im Innern ein dumpfes Mißbehagen nicht los. Ich wußte nicht, was es war. Es drückte nur auf jeden Entschluß, den man fassen wollte.
    Der Telegraphendirektor gab den beiden Söhnen Geld, und wir entfernten uns. Ich war vollkommen verblödet jetzt. Die beiden gingen in die Wrangelkaserne und wollten sich freiwillig melden. Mir wurde die Sache unbehaglich. Was wollte ich da? Ich sah zahllose Freiwillige im Kasernenhof stehen. Jedes einzelne Gesicht strahlte. Ich sagte zu Richard: »Weißt du was, das ist mir zu langweilig! Wenn sie mich wollen, werden sie mich schon holen! Nachlaufen tu ich ihnen nicht!«
    Wir hatten Fritz im Gedränge verloren. Eine Zeitlang pfiffen wir vergebens, entfernten uns und suchten Jung. »Was geht mich der Dreck an! Ich werde jetzt wieder Bäcker machen«, sagte ich so im Dahingehen. Richard wußte nicht, was er sagen sollte. »Und überhaupt! Wenn ich schon zum Militär muß, so möchte ich zu den Bayern«, sagte ich wieder.
    »Das geht kaum mehr«, sagte Richard. »Warum nicht?« fragte ich verdutzt. »Alle Züge sind für Truppentransporte verwendet worden. Du kommst

Weitere Kostenlose Bücher