Wir sind Gefangene
beim Herabgeworfenwerden hellauf und stieg immer wieder mit doppelter Freude auf den Gaul. Das gefiel dem Unteroffizier, und er sagte zu den Ängstlichen: »Schaut den an! Der schert sich nichts, drum kann er auch was! Beim Reiten muß man frech sein, Kerle!« Wart' nur, dachte ich, du sollst deine Schikanen schon büßen und kitzelte meinen Gaul stets auf der Klicke, wenn alles aufs schönste klappte. Und plumps - das Pferd stemmte die Hinterfüße, ging gereizt vome hoch und warf mich mit einem eleganten Schwung auf den dicken, aufspritzenden Sägespäneboden. Oder es warf mich nach vorne, wie ich es wünschte.
»Kerl! Kerl!« polterte der Unteroffizier und mußte dennoch lachen: »Kerl! Du verpfuschst mir das ganze Paradereiten! Marsch! Schnell hinauf! Marsch!«
Nur sachte, sagte ich mir insgeheim, ich zahle dir dein Stubenwischen und Kartoffelschälen schon noch heim. Dann kam das Schaureiten vor dem Rittmeister. Mitten im schönsten deutschen Trab kitzelte ich meinen Gaul wieder und flog. Alles war verpfuscht. Der Unteroffizier bekam eine Nase, und ich wurde von da ab in den Kohlenkeller geschickt. Dort arbeitete ich mit einem Alten, der mit dem Kellersergeanten sehr intim tat und immer Vesper machte, um neun Uhr früh die erste, um elf Uhr die zweite, dann Mittagessen, um zwei Uhr die dritte und um halb vier Uhr bis zirka fünf Uhr die letzte. Dann hatten wir Ruhe. Das war sehr gemütlich.
Du kannst nichts Besseres tun, als dich schleunigst ins Feld melden, sag' ich dir«, belehrte mich der Alte, »da gibt's massenhaft so Kolonnen, wo es Druckposten gibt, wenn's einer versteht.« Ich ging sofort zum Unteroffizier und sagte verkniffen soldatenbrav: »Verzeihung, Herr Unteroffizier, wenn ein Transport ins Feld geht, ich möchte gleich mit.«
Der Korporal maß mich streng und sagte zurückweisend: »Wart' nur, Bursche, für dich such' ich schon was, wo dir deine Frechheit vergeht! So gemütlich wie im Keller kriegst du's nimmer, merk dir's! Du kommst schon an die Reihe, nur Geduld!«
Der Alte im Keller lachte, als ich ihm das berichtete und meinte überlegen: »Halb so schlimm! Da kann dir keiner einen Streich spielen.« Dann gingen wir wieder in die Kantine. So vergingen die Tage.
»Wer hat da neulich gesagt, daß er ins Feld will?« schrie nach etlichen Wochen der Unteroffizier zur Tür herein und hatte mich schon aufs Korn genommen. Gleich trat ich vor. Noch etliche drängten sich heran. »Ich brauch bloß zwei«, befahl der Korporal, zog mich aus der Reihe und fagte: »Wer will noch?« Er musterte die andern. Noch ein Bäcker, namens Dreier, kam mit. Ein Oberleutnant von den Pionieren nahm uns im Gang in Empfang.
»Ihr habt euch um drei Uhr in der Schreibstube des Eisenbahnbataillons zu melden«, sagte der. Wir wurden eingekleidet mit ganz neuen Sachen, begaben uns auf die genannte Schreibstube, mußten zwei Pferde von der Sammelstelle abholen und waren von jetzt ab dem Eisenbahnbataillon unterstellt. Die paar Tage vor dem Abtransport ins Feld ließen wir es uns noch gutgehen, faulenzten viel, tranken in der Stadt herum und spielten vor unseren Stubenkameraden die Überlegenen. Am fünften Tag endlich wurden wir wieder zur Schreibstube der Eisenbahner geholt, einem Major vorgestellt, erhielten den Befehl zum Verladen, und nachts um ein Uhr fuhren wir mit dem Stab der Eisenbahntruppe (das war die Formation, der wir zugeteilt waren) nach Insterburg an die ostpreußische Grenze.
Wir waren acht Leute und zwei Offiziere, der Major und der schon erwähnte Oberleutnant. In Insterburg wurde ausgeladen. Wir mußten die Bagage des Stabes in die Stadt fahren und kamen in die Kaserne ins Quartier. Es war tiefer Winter und hoher Schnee lag. Zu tun hatten wir sehr wenig. Nur jeden Tag ein wenig Pferdeputzen und Menagefassen. Die andere Zeit streunten wir durch die etwas ramponierte Stadt, die erst vor kurzem von den Russen geräumt worden war. Die Anschläge des feindlichen Befehlshabers, des Generals Rennenkampf, klebten noch an den Wänden der Häuser. Die Bevölkerung war im allgemeinen weder gut noch schlecht auf Soldaten zu sprechen, eher sah es schon aus, als sei ihr dieses ganze Gerummel zuwider. Ganz weißes Brot konnte man kaufen und billige Wurst. Die Kaserne, in der wir unter ostpreußischen Landsturmmännern lagen, war total verlaust.
XV
»UNTEN DURCH«
Ich hatte damals die merkwürdige Angewohnheit, jeden Menschen beinahe mechanisch mitten aus dem Gespräch heraus zu fragen: »Sag mal, wie alt bist
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