Wir sind Gefangene
mich fertig zum Gehen. Erschreckt bildete sich ein Gang, durch den ich hastig lief. Der Morgen dämmerte schon auf den Straßen. Die Häuser reckten sich schläfrig und trist. In Schweiß gebadet, mit Ruß bespritzt und bis obenauf dreckig, rannte ich vorwärts und suchte Schorsch auf. Der lag noch im Bett. Als er öffnete, schrak er beinahe zurück.
»Jetzt hab' ich Schluß gemacht!« sagte ich und brach in einen Stuhl.
Dann, nach einer kleinen Pause, erzählte ich ihm den Hergang. Er schüttelte den Kopf und sagte nur: »Das kann dir eine schöne Geschichte eintragen, wenn der Meister ekelhaft ist.« Ich hörte nicht darauf. »Am besten ist's, du verschwindest eine Zeitlang aus München«, meinte mein Kamerad wieder. Ich nickte dösig. »Geh doch nach Berlin«, sagte Schorsch wiederum, »dort ist's für Literaten zehnmal besser. Auch Jung ist dort.« Damit war alles beschlossen. Ich wusch mich, und Schorsch machte sich fertig. Als wir auf die sonnige Straße schritten, war mir sehr frei zumute. Als wäre ich nach langer Mühe einem Schlammeer entronnen, so leicht war alles. Nach einem Spaziergang aßen wir in einer Gastwirtschaft und besorgten alles zur Abfahrt.
Und wieder, wie damals nach Locarno, fuhr ich um zehn Uhr in die schwarze Nacht. Als ich so am Coupefenster stand und das Rattern und Brausen des Zuges die Flächen auseinanderhämmerte, jubelte ich auf einmal auf, hellauf.
Fort, fort! Weit fort, jagte es durch mich, und mein Blut wallte. »Berlin! Berlin!« trommelten die Schienen, und wie ein fremdes Wunder, ein riesiger Dom erstand diese Stadt in meiner Vorstellung.
XIII
ZU GAST
Mit drei Mark und zwanzig Pfennigen kam ich in Berlin an. Was ich zu tun gedachte, war mir unklar. Da ich Jungs Adresse hatte, suchte ich lange nach ihm. Ich fand ihn schließlich, wohnte bei ihm und ging mit ihm trinken. Allerhand neue Leute lernte ich kennen. Es wurde viel diskutiert in den Kreisen, wo wir verkehrten. Die Psychoanalyse ging um, untermischt von allerhand sozialen Ideen. Ich kam in Berührung mit der jungen Literatur. Schrecklich unbeholfen, wie ich war, wußte man sehr wenig mit mir anzufangen. Es ging mir ziemlich schlecht. Ich suchte diesen und jenen auf, bekam Geld oder zu essen. Nach allmählicher Gewöhnung an diese Umgebung, fing ich wieder schriftstellerisch zu arbeiten an, veröffentlichte etliche Verse in Zeitschriften und trank andauernd mit Jung, Oehring und noch verschiedenen, gerade hinzukommenden Leuten herum. Wenn das Geld nicht mehr reichte, wurden große Streifzüge gemacht. Ich wurde jedesmal geschickt, ging zu den Leuten, berief mich auf Jung und gab vor, daß wir irgendwo wegen Zechprellerei festsäßen und borgte für die Zurückgebliebenen Geld. Überall war ich zuletzt bekannt. Man wich mir aus, wo es ging. Wenn ich beispielsweise im Cafe des Westens auftauchte, sah man nach mir, steckte die Köpfe zusammen, und einmal hörte ich das Wort »Pumpgenie«.
Äußerlich kam ich sehr herunter, ging verschlampt und hatte überall ein peinliches Gefühl. Mit Jung und seiner Frau geriet ich bald in Streit und nächtigte bei Oehring, dessen Vater Telegraphendirektor war. Wenn ich dort läutete, kam meistens der alte Herr selber, musterte mich flüchtig und rief, mich stehen lassend: »Richard! Der Verbrecher!«
Dieser Mann haßte mich vom ersten Augenblick an. Als ich einmal wieder bei Richard schlief, begann der Alte plötzlich im Nebenraum zu zetern. Mit pathetischer, zitteriger Stimme polterte er: »Ich bin wie Simson! Ich halte die Säulen des Hauses! Aber einmal! Einmal bin ich nicht mehr imstande, die Säulen zu halten, und dann stürzt der ganze Bau ins Verderben!«
Er hatte es immer aufs Pathos abgesehen. Jung und ich galten ihm als die Verführer seiner beiden Söhne. Wenn wir zugegen waren in Richards Zimmer, heulte drüben die Stimme des Hauses: »Wehrlos der Verführung preisgegeben! Wehrlos! Meine Söhne, mein Glück!« Er war ein alter, hagerer, grauhaariger Mann, den die langen Dienstjahre völlig nervös gemacht hatten. Seine Frau war lahm und saß den ganzen Tag in einem hohen Lehnstuhl am Fenster. Richard und Fritz studierten, bummelten aber meistens in den Literatenkreisen herum und machten Verse.
Jung half mir überall, wenngleich wir uns nie recht verstanden. Kamen wir ins Diskutieren, so glotzte ich ihn meistens dumm an, weil ich nichts verstand. Dann wurde er wütend und hieß mich »Trottel« und »Idiot«. Er spekulierte auf der Börse, leitete Korrespondenzbüros
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