Wir sind Gefangene
du eigentlich?« An solchen Unarten leide ich von Kind auf. So zum Beispiel habe ich als Knabe eine Zeitlang bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit den Spruch aus mir heraus gestöhnt: »Ach, vierzigtausend Mark, das war' jetzt ein Geld!« und bekam darob von meinem Vater, der mich fast nie schlug, einmal heftige Ohrfeigen. Aber immer und immer wieder entkam mir dieser Stoßseufzer, bis ihn eines Tages ein anderer ablöste. Genug davon.
In Insterburg mußten wir jeden dritten Tag zum Appell im Korridor unseres Stabsquartiers antreten. Der Oberleutnant gab uns die nötigen Befehle, dann kam der Major und musterte jeden von oben bis unten mit strengen Blicken, bekrittelte die schlechtgewichsten Stiefel oder die schlechte Haltung, drohte mit Arrest, und Schluß war's damit. Wir gingen in die Küche, aßen und lungerten beschäftigungslos herum in der Stadt, kamen wieder heim und spielten Karten bis tief in die Nacht. Unser Stab bewohnte die Etage eines verlassenen Privathauses, und wir hatten uns während des Tages in der Küche aufzuhalten, mußten hie und da Telegramme auf die Post tragen und verschiedene Gänge machen. Fast jeden Tag fuhren die beiden Offiziere im Auto an die Front vor und kamen erst spät nachts wieder zurück, manchmal sogar erst am andern Tag um die Mittagszeit. Bei ärgstem Schneefall wurde losgefahren, daß die beiden Kraftfahrer murrten und fluchten. Wir Zurückgebliebenen hatten somit freie Hand, trieben allerhand Unfug und wußten oft gar nicht, wie wir die Zeit totschlagen sollten. Da war also Peperl, der Schreiber und unser nachmaliger Unteroffizier, die beiden Offiziersburschen Ginhart und Hartig und wir zwei Trainsoldaten. Peperl, der eigentlich Schwedes hieß, war ein junger Geometergehilfe aus Niederbayern, hatte das Einjährige und war sehr dienstbeflissen. Eigentlich sollte er uns in Abwesenheit der Offiziere regieren, aber es paßte niemand auf ihn auf. Er sah außerdem auch wenig respektierlich aus, hatte aufgeworfene Lippen, rote Pausbäckchen, zählte kaum zweiundzwanzig Jahre und eine zu lange Zunge hinderte ihn an der guten Aussprache. Wir hießen ihn meistens »Hosenscheißer«, denn er war sehr ängstlich. Ein robustes Wort, ganz gleich von wem, konnte ihn einschüchtern. Wir lächelten über ihn, und wenn dann noch etwas schiefging, wenn wir von den Offizieren geschimpft wurden, verwünschten wir ihn. Er war stets der Schuldige für uns, und das verwirrte ihn oft völlig. Dann feixte er herum und hinum und fing zu jammern an: »Ich kann doch gar nichts dafür! ... Ich hab's euch gleich gesagt, aber ihr paßt's ja nicht auf auf mich!« Dann aber donnerten wir alle auf ihn ein und schimpften mordsmäßig: »Ganz gleich ... Du bist der Unteroffizier! ... Du hast uns hineingeritten, Depp! ... Das ist eine schöne Kameradschaft! ... So was merken wir uns aber! ... Wart' nur, es kommt schon wieder was, dann pfeifen wir auch auf die Kameradschaft!« Das machte ihn verzweifelt. Er winselte und weinte schier. Er war windelweich und tat alles, was wir wollten.
Am ungefähr siebzehnten Tag unseres Insterburger Aufenthaltes bekamen wir unverhofft vom Proviantamt einen Ballon Rum zugewiesen. Es waren fünfzehn Liter. Sofort setzten wir uns hin und begannen zu trinken. Immer aus Feldbechern. Das Kartenspiel wurde bewegter. Schon warf der Majorsdiener die Karten hin und ging wankend an die Wasserleitung, ließ das kalte Naß über seinen Kopf rinnen.
»Aha!« spöttelte der Oberleutnantsdiener und warf ebenfalls die Karten hin. Ich machte einen großen Zug, schnaubte auf wie ein Pferd und glotzte stier auf irgend jemand: »Sag mal, wie alt bist du jetzt eigentlich schon?« Meine Zunge war schwer, der Kopf schwankte. »Ihr seid so Kerle, von dem bißl Schnaps sind sie sternhagelvoll«, polterte der Diener des Adjutanten, goß sich den Feldbecher ein und trank ihn in einem Zug aus. Mein Kamerad Dreier lachte grölend.
»Sa-sag mal, wie-hie alt bist du jetzt ei-ei-eigentlich?« rülpste ich heraus.
»Depp! Was fragst du denn immer so saublöd? Frag' doch mal den Major, wie alt er ist, Trottel!« schrie der Diener des Oberleutnants und fuhr fort: »Wir fallen doch nicht mehr herein auf deine Afferei!« Dreier lachte wieder auf. Der Majorsdiener hing schlaff an der spritzenden Wasserleitung.
»Jetzt hängt er schon«, sagte Dreier gleichgültig. Der andere am Tisch setzte abermals den Feldbecher an den Mund und schluckte krachend. Auf einmal lag er stocksteif am Boden und
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