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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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schieben und denkt mit der Zeit überhaupt an nichts anderes mehr als an den nächsten Augenblick. In der Kaserne, im Feld und im Irrenhaus war es so gewesen: Es ging einen gar nichts an. Es hatte einen gar nichts anzugehen. Und so etwas macht sich der Massenmensch schnell zunutze. So gemütlich, als es geht, richtet er sich die Stunden und Tage ein und sein einziges Trachten ist: Wie erschnappst du den erträglichsten Posten und das meiste Essen.
    In den vorhergehenden Monaten hatte es noch ziemlich viel Arbeit gegeben. Jetzt flaute es ab. Der große Regen fing an. Trist verliefen die Tage. Beschäftigungslos, unbehaglich und ohne Entschluß lungerte ich herum. Die Dorfleute sahen mich schief an und murrten: » Der Kerl ist herinnen! Andere müssen draußen ihren Kopf hinhalten.«
    Mehrmals war ich schon in München gewesen, um mir als Gehilfe eine Stellung zu suchen. Jedesmal kehrte ich ohne Erfolg zurück. Theres wurde ungeduldig.
    »Das ist doch ausgeschlossen, daß du jetzt nichts findest, wenn du dich richtig umschaust«, sagte sie an einem Tag, »das geht ganz einfach nicht mehr, daß du die ganze Zeit heimhockst! ... Das ganze Dorf redet schon! ... Jetzt, wo alle Mannsbilder im Feld sind, mußt du doch was finden! ... Du suchst eben nicht richtig! Du magst nicht, das ist's!«
    Ich konnte nicht antworten darauf. Erinnerlich war mir nur, daß wir nach vollendeter Volljährigkeit ein Vermögen von zweitausend Mark zu bekommen hatten. Das ging mir schon lang im Kopf herum. Ich wollte das Geld so schnell wie möglich in der Hand haben. Über seine Verwendung dachte ich nicht weiter nach. Ganz einfach das Geld, kalkulierte ich, dann bist du ein gemachter Mann. Seit meiner frühesten Jugend war ich geldgierig und trachtete von jeher darnach, möglichst reich zu werden, nicht um zu haben, sondern um zu verschwenden. Das Geld war doch zu nichts anderem da als zum Verbrauchen!
    »Ja«, sagte ich also, »ich such' mir schon was, aber ich will mein Vermögen jetzt.«
    Offensichtlich überlegen schaute mir Theres in die Augen. Sie kannte mich.
    »Dein Vermögen?!« erwiderte sie resolut. »Das kriegst du nicht! Dafür ist gesorgt. Das liegt hypothekarisch auf dem Haus ... So mir nichts, dir nichts geht das nicht.«
    »So? ... Naja!« brummte ich nur noch, ging in die Kammer hinauf und kam nach einer Weile im guten Anzug herunter. Theres gab mir etwas Geld. Mutter sagte verdrossen:
    »Im ersten Bad sollt' man seine Kinder ertränken oder wie die jungen Katzen in einem Sack voller Stein'! Dann war' aller Verdruß erspart.« Das war stets ihre Redewendung, wenn wir Geschwister aneinander gerieten. Nichts war ihr so zuwider als Streiten.
    »Naja! In Gottesnamen, jetzt werd ich schon was finden!
    Reg' dich doch nicht so auf!« beruhigte ich sie mürrisch und ging. Mit dem Dampfschiff fuhr ich nach Starnberg. Der See war häßlich und sah alt aus. Der Zug wartete schon und brauste nach kurzer Zeit in die verregnete Gegend.
    In München ging ich nicht gleich zum Stellenvermittlungsbüro der Bäckerherberge. Hobrecker, jener rheinische Lehramtskandidat, mit dem ich in der Heilanstalt Haar zusammengekommen war, hatte mir nämlich schon zweimal geschrieben, daß er nun auch in München sei. Er war kurz nach mir aus dem Militärdienst entlassen worden, entstammte einer gutbürgerlichen Familie aus Remscheid im Rheinland und sollte nun sein Lehrerexamen machen. Nicht lange nach seinem Heimkommen jedoch floh er, mietete mit dem mitgenommenen Geld ein elegantes Zimmer und kaufte sich ein Adreßbuch. Als er nichts mehr hatte, nährte er sich dadurch, daß er an alle Barone, Adeligen und Kommerzienräte Bettelbriefe schickte, in denen er sein Kriegsinvalidendasein in den düstersten Farben schilderte. Und der Erfolg war, daß er fast täglich eingeschriebene Briefe bekam mit einer beigelegten Banknote. Nur selten mußte er sich das Almosen selbst abholen. Er war ein umgänglicher Mensch und hatte auch hier Glück.
    »Mensch!« rief er, als ich ihm von meinen Absichten erzählte, »eine Stellung willst du nehmen? ... Nee, Mann, so was ist nicht mein Fall!« Er lachte überlegen, bezahlte großspurig den Kaffee für mich und lud mich ein, bei ihm zu übernachten. Das läßt sich gut an, dachte ich, als wir später auf seinem Zimmer ankamen. Es war ein äußerst behaglicher Raum, gut durchheizt und heimelig. Hobrecker bestellte Tee bei der Logisfrau, servierte Brot, Butter und Wurst. Während wir aßen, erklärte er mir seine »Praxis«.

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