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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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stürzten auf mich, aber alle Kranken waren rebellisch und halfen zu mir. Die Tür ging auf. Von der »schweren Station« kam ein Dutzend Wärter. Die Arme wurden uns krachend in die Rücken gebogen. In die Schultern gab es Spritzen und dann ging es ins Dauerbad. Neben mir in der Wanne lag Leow. Er machte mir Zeichen, hielt die Faust hoch: »Rache!«
    Ein Wärter kam und versetzte ihm einen Stoß.
    Man war wehrlos und lag splitternackt in einer heißwassergefüllten Wanne bei vierzig Grad Wärme. Der Raum war dampferfüllt und klitschigglatt. Drei Wärter gingen am Fenster auf und ab. Wollte einer aus der Wanne, stießen sie ihn einfach hinein. Es hieß also liegenbleiben, liegenbleiben und abwarten.
    Das Mittagessen mußten wir im Wasser einnehmen, aber man hatte keinen Appetit. Mattigkeit kam, Schwäche, unsägliche Schwäche. Aus Zellentüren an der einen Seite kamen fürchterliche Klagelaute. Poltern, Schreie, Verwünschungen und Gebete. Erst am dritten Tag wurde ich vollkommen erschöpft aus der Wanne gezogen und ins Bett gelegt.
    Von da ab redete ich kein Wort mehr. Weder Leow noch andere Bekannte waren um mich. Der Arzt kam und fühlte meinen Puls. Der riesige Wärter berichtete, daß ich den ganzen Tagessaal ruiniert und Hanisch die Backe heruntergerissen hätte.
    »Stimmt das?« fragte der Arzt. Ich schwieg und sah ihn böse an. Fünf Monate schwieg ich. Selbst allein sprach ich kein Wort. Im Garten traf ich meine Kameraden wieder. Leow kam, wollte mir erzählen. Ich schwieg. Mayer kam. Ich schwieg. Entsetzt erzählten sich alle, ich sei stumm.
    Krepieren oder frei werden, wiederholte ich in Gedanken und knirschte in mich. Alle bemißtraute ich. Jedermann war mein Feind. Kam der Arzt und wollte mit mir sprechen, machte ich eine Geste, wie wenn ich etwas aufschreiben wollte. Erhielt sodann einen Bleistift und Zettel dazu und schrieb meine Wünsche nieder. Erst kurz vor meinem Abtransport griff ich abermals einen Verhaßten an und schrie in der Erregung auf. Wieder kam ich zwei Tage ins Dauerbad, und die gleiche Sache wiederholte sich. Als ich im Bett lag und der Arzt vor mir stand, berichtete der Wärter: »Er hat rebelliert und alles zusammengeschlagen ... Der Pionier sieht übel aus.«
    »Warum machen Sie denn das?« fragte der Arzt mit bösem Gesicht. Ich wollte sprechen, konnte aber nur stottern.
    »Na, seh'n Sie, das war ganz gut, daß Sie so gehaust haben ... Jetzt können Sie wenigstens wieder sprechen«, sagte der Arzt lächelnd. Wieder stotterte ich ein paar unverständliche Laute heraus und begann zu lachen. »Sie kommen jetzt weg in Ihre Heimat«, sagte der Doktor und ging.
    Ich durfte wieder aufstehen. Sehr interessiert gruppierten sich meine Kameraden um mich. Ich wollte reden, aber es ging nicht. Ich fiel wieder ins Lachen. Dann kam der Wärter, führte mich in die Gewandkammer und gab mir meine Sachen. Ich mußte mich reisefertig machen. Ein brandenburgischer Landsturmmann brachte mich weg auf die Bahn. Die Reise ging durch Berlin. Als wir aus dem Anhalter Bahnhof gingen, winkte ich einem Offizier, stotterte ihn um Feuer an und hielt meine Zigarette hin. Der Mann begann zu schimpfen. Mein Begleiter machte leise Erklärungen und deutete an seine Stirne. Der Offizier gab mir lachend Feuer.
    Wir besuchten Jung, Schorsch und Oehring. Ich lachte in einem fort. Der Wärter benahm sich sehr gemütlich und behandelte mich wie ein Kind.
    Abends ging der Zug weiter. Alle kamen wir noch einmal in der Wartehalle zusammen und tranken viel Bier und Kognak.
»Idiot!« schrie Jung mir nach, als der Zug abfuhr.
Die anderen schüttelten wie irr die Köpfe.
Ich lachte.

XXI
INS FREIE

    In der Heilanstalt besuchten mich meine Angehörigen. Als ich stotterte und in einem fort krampfartig lachte, fingen sie zu weinen an. Sie wußten nichts mit mir anzufangen und fuhren bedrückt wieder ab.
    Meine Umgebung war etwas friedlicher hier. Einer führte den ganzen Tag Krieg und erklärte jedem die Lage der Schützengräben, den Stand der Truppen, schimpfte auf uns »Etappenschweine« und gab gelegentlich dem Geistlichen oder einem Wärter eine Ohrfeige. Dann gab es Dauerbad auf der »schweren Station«. Einer stellte den ganzen Tag auf Papierfetzen Wechsel aus. Einer drückte unablässig sein Ohr wie einen Gummiball zusammen und riß dabei zu gleicher Zeit den Mund weit auf, daß die Kiefer knacksten. Das wäre das Gas, das ihm im Kopfe säße, gab er an. Das war ein mittelgroßer, knorpelgesichtiger Niederbayer, der

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