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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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erwachte ich am andern Morgen. Fremd und ungastlich war alles. Es ging auch schon wieder an: Ich wollte Nanndl aufsuchen, ich wollte Hobrecker treffen, ich wollte auf die Staatsbibliothek. Es fiel mir ein, du könntest dich auch baden. Ich beschloß, sofort nach dem Aufstehen eine Novelle zu schreiben und wollte sie in einem Schreibbüro diktieren und gleich an eine Redaktion schicken. Ich kam auf einmal auf den merkwürdigen Gedanken, die Logisfrau zu fragen, ob sie keine Stelle für mich wüßte. Ich wollte ihr alles sagen. Wieder überlegte ich anders. »Ach, dieser Krieg! Dieser verdammte Krieg!« knurrte ich sinnlos. Da klopfte es.
    »Herr Graf? Wollen Sie einen Kaffee?« murmelte die Logisfrau draußen.
    »Ja, gleich steh' ich auf!« antwortete ich und hörte sie fortschlurfen. Hastig sprang ich aus dem Bett, zog mich an und ging nach dem Kaffeetrinken weg. Merkwürdig, wenn man etwas Warmes im Bauch hat, fühlt man sich mutiger. Schnurstracks suchte ich die Bäckerherberge auf. Schüchtern zeigte ich meine Papiere vor. »Militärfrei? Ganz und gar?« fragte der Mann am Schalter. Ich nickte und sah auf seinen Riesenkropf. »Wollen Sie in eine Keksfabrik? ... Da war' was frei für sofort«, meinte der Mann wieder und musterte mich mit griesgrämiger Miene.
    Er gab mir eine Karte mit der Adresse des Arbeitgebers. Seltsamer Zufall! Die Keksfabrik war ungefähr fünf Minuten von meinem Logierzimmer entfernt. Ich meldete mich sofort und konnte am übernächsten Tag anfangen. »Ja, Herr Graf, dann bleibt's also dabei? ... Holen Sie sich daheim Ihre Sachen und kommen sie!... Ich kann mich also bestimmt drauf verlassen, ja?« redete mich der Bäckermeister freundlich an. Das war eine andere Welt. »Herr Graf« hieß mich mein Vorgesetzter. Ich war also wirklich ein freier Mensch. Das tat wohl. Aufgeräumt kam ich auf meinem Zimmer an.
    »Ich komm' erst morgen wieder«, sagte ich zur Logisfrau. Die lächelte schon wieder so seltsam. Sie schien kein Wort zu glauben. Als ich zur Tür hinaus wollte, sagte sie beinahe hämisch: »Da - Herr Graf! ... Sie haben ja Ihr Briefpapier und die Seife vergessen!« »Ich komm' doch morgen wieder ... Das brauch' ich doch nicht!« antwortete ich arglos, und ohne mich weiter um sie zu kümmern, ging ich. Mit dem Mittagszug fuhr ich nach Hause. Theres war zufrieden. Mutter packte mir noch Eßwaren in meinen Koffer. »Siehst du! Ich hab's gleich gesagt: Stellen gibt's genug, man braucht bloß richtig suchen«, sagte Theres mit leisem Spott und setzte hinzu:
    »Jetzt ist's also auch ohne dein Vermögen gegangen.«
    Ich verzog verlegen meine Mundwinkel und erwiderte unbeteiligt: »Jaja, so war's ja auch nicht gemeint.«
    Noch am selben Abend fuhr ich zurück in die Stadt. Zum Haustor kam ich hinein, aber droben, als ich aufschließen wollte, war doppelt versperrt. Ich erschrak, probierte den Schlüssel noch einmal. Es ging nicht. Ich klopfte. Drinnen regte sich etwas.
    »Wer ist denn da?« fragte eine tiefe Männerstimme mürrisch. »Ich bin's der Herr Graf! ... Ihr Mieter«, antwortete ich. »Ich bin heut' abend noch 'reingefahren ...«
    »Herr Graf? ... Ich kenn' keinen Herrn Graf! ... Was wollen Sie denn?« fragte es drinnen ärgerlich.
    »Tja! ... Ich hab' doch das Zimmer gemietet gestern! Lassen Sie mich doch hinein!« rief ich verblüfft. »Einen Moment!«
    Jetzt hörte ich murmeln und die Stimme meiner Logisfrau. Die beiden Leute öffneten. Die Frau hielt das Licht und der Mann - es war ihr Bruder - stellte sich wehrhaft vor mich, so als wolle er mich gleich anpacken. Als sie aber nun sahen, daß ich einen schweren Koffer in der Hand hatte und »Gott sei Dank« von mir hörten, wurden sie freundlicher und entschuldigten sich.
    »Wissen Sie, Herr Graf, es passiert jetzt allerhand«, sagte der Mann, »da müssen S' schon entschuldigen ... Drei sind uns bis jetzt schon durch und nachher hat man sie gefaßt.« Um jene Zeit nämlich kam es mitunter schon vor, daß Deserteure sich irgendwo für eine Nacht einmieteten und anderntags verschwanden.
    »Ja! ... Ja, das ist was andres!« sagte ich und ging lächelnd in mein Zimmer.
    Hobrecker traf ich Tags darauf nicht. Ich hinterließ einen Zettel. Auf den schrieb ich meine Adresse und: »Komm die nächsten Tage abends acht bestimmt einmal zu mir. Bestimmt!«
    Den Tag über richtete ich mich in meinem Zimmer ein und schrieb an Schorsch nach Berlin meine Adresse. Zufrieden legte ich mich zu Bett und erschien am andern Morgen in der Keksfabrik.

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