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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Eine Unmenge Adressen hatte er auf lange Zettel notiert. Davon waren einige rot, viele blau und die anderen mit gewöhnlichem Bleistift unterstrichen. Die roten waren schwere Geldgeber, die blauen luden mitunter auch zum Essen ein und gaben noch Geld obendrein, die mit Bleistift bezeichneten mußten erst ausprobiert werden. An alle diese Leute wandte sich mein Freund und hatte zu diesem Zweck vier verschiedene Musterbriefe abgefaßt, die er jeweilig abschrieb und versandte.
    »Mensch«, sagte er nach diesen Erklärungen abermals, »die Sache ist doch sehr einfach! ... Was sollen diese alten Vaterlandsknacker nicht blechen? ... Ich kann dir nur raten, mach's auch! Du kannst meine Adressen haben, wenn du sie willst.«
    Ich überlegte. Nebenbei, dachte ich, kann man das ja immerhin machen, aber auf die Dauer nicht. »Was heißt auf die Dauer?! Wenn hier nischt mehr zu machen ist, geht man einfach woanders hin!« belehrte mich Hobrecker. Ja, dagegen war nichts einzuwenden. Es stimmte vollauf. Man konnte also auf diese Weise ganz Deutschland abgrasen. Das leuchtete mir ein. Dennoch war mir die Geschichte widerlich.
    Wir schliefen dann zusammen in seinem Bett und in der Frühe stand ich rasch auf und wollte weg.
    »Hast du etwas Geld?« fragte mein Gastgeber schläfrig und gähnte. Ich nickte. »Na, gib mal etwas her! Du kannst es heute abend doppelt wieder haben«, meinte er.

    Schon zerfiel mir die Illusion. Ich wurde mißtrauisch, sagte aber nichts, gab ihm zehn Mark und ging, nachdem wir ein Zusammenkommen verabredet hatten.
    Kalt und feucht war es auf den Straßen. Mir war recht zwiespältig zumute. Ich hätte mich anspeien mögen und wußte nicht warum. Jeden Straßenfeger, jeden Radfahrer, alle Menschen, die ihrer geregelten Beschäftigung nachgingen, beneidete ich. Die sind unter Dach und Fach und wissen, wo aus und wohin, ging's durch meinen Kopf, du bist bloß ein Stück Nichts. Eine lahme Ratlosigkeit saß in allen meinen Gliedern. Ziellos ging ich dahin. Ich wollte meine Schwester Nanndl aufsuchen. Sie hatte ja auch schon einmal einen solchen Zustand erlebt. Einst hatte sie Max kurzerhand in die Stadt mitgenommen, ging von Laden zu Laden und fragte, ob man ein Lehrmädl brauche. Schließlich ließ er sie bei einem Konditor. Nach sechs Wochen mußte sie ins Krankenhaus, und als sie entlassen wurde, ging sie nicht mehr nach Hause, sondern suchte sich selber eine Lehrstelle bei dem Friseur, wo sie jetzt noch war. Ja, ich wollte Nanndl aufsuchen! Wir zwei Jüngsten vertrauten einander immer am meisten.
    Plötzlich verwarf ich diesen Gedanken und faßte einen anderen Entschluß. Ich machte mich auf den Weg zum Stellenvermittlungsbüro, begann mich aber schon wieder eines anderen zu besinnen, trat dösig in einen kleinen Kaffeeausschank, in welchem ich früher manchmal verkehrt hatte, und verhockte dort einige Stunden. Der Wirt kannte mich noch und fragte, ob ich eine Stellung hätte. Aus einem unerfindlichen Grund log ich, erzählte ihm von schriftstellerischen Erfolgen, daß ich in einem Büro tätig sei und von einer Verwundung redete ich. Als ich endlich ging, war mir noch erbärmlicher zumute. Willenlos tappte ich weiter. Es war schon tief am Nachmittag. Eigentlich sollte ich jetzt Hobrecker treffen. Auf einmal aber trat ich in ein Haus und mietete ein Zimmer.
    »Hat der Herr eine Stellung?« fragte die zusammengeschrumpfte Logisfrau und musterte mich. Ich nickte.
    »Ja, am Montag fang ich an«, sagte ich ohne Besinnen und bezahlte das Mietgeld im voraus. Die Frau händigte mir die Schlüssel aus, verbat sich in devotem Ton jeden Damenbesuch und ließ mich allein. Ich atmete etwas auf und setzte mich in den roten Plüschdiwan. »Depp!« sagte ich halblaut zu mir, »warum machst du denn lauter solchen Unsinn?« Ich ärgerte mich über meine Lügen. Warum hatte mich denn die Frau so mißtrauisch angeschaut? Ich wußte nicht, was ich anfangen sollte. Kalt und häßlich war es hier. Dunkel wurde es. Ich schnellte plötzlich auf, ging, kaufte mir in einem Metzgerladen Kaninchenleberkäse, suchte eine Wirtschaft auf, durchflog gedankenlos die Zeitungen, trank mein Bier, bezahlte, ging wieder auf mein Zimmer und legte mich zu Bett.
    Nach langem Überlegen kam ich endlich zu einem Vorsatz. Du mußt ganz einfach morgen eine Stelle haben. Wenn nicht, brennst du durch, legte ich mir zurecht. Sechzig Mark hatte mir Theres mitgegeben, fünfundzwanzig hatte ich jetzt noch. Da ließ sich noch allerhand machen ... Mißmutig

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