Wir sind Gefangene
Sie bestand aus schmutzigen, engen, sehr heißen Kellerräumen, in denen ungefähr zehn Gehilfen arbeiteten. Auch Frauen waren hier beschäftigt. Alles glitschte von Sirup und Teig. Die Augen taten einem weh von dem durchdringenden Ammoniumgestank. Man nahm wenig Notiz von mir. Einer zeigte mir das Teigeinfüllen in den großen Bottich der elektrisch betriebenen Knetmaschine, erklärte mir das Anlassen und los ging es. Ratsch! klatschten die Riemen, der Motor surrte, die Stimmen schrien, schwirrten ineinander, die Ofenplatten rollten unablässig aus und ein, die Walkhölzer der Gehilfen schlugen dumpf an, die Bleche schepperten, Dampf und Staub und Schweißgeruch herrschten überall. Ich biß die Zähne zusammen und arbeitete dumpf wie ein Vieh.
II
»ARBEIT, EDLE HIMMELSGABE«
Eigentlich war die Keksfabrik eine gewöhnliche Bäckerei gewesen. Der Meister hatte sich sozusagen im Krieg umgestellt. Er war Landtagsabgeordneter und Stadtrat der Zentrumspartei. Die vielen Lazarette brauchten Krankengebäck. Mit Brot war zu jener Zeit kein Geschäft zu machen, also warf sich der Mann auf die Keksfabrikation und hatte bald die ausgedehntesten Lieferungsmöglichkeiten für den Heeresgebrauch erschnappt. Das machte ihn reich.
Jeden Tag - von sechs Uhr früh bis ungefähr halb sieben Uhr abends mit einer zweistündigen Mittagspause - werkelte ich nun in diesen Kellerrräumen. Es hieß mit aller Kraft zugreifen, und ich machte schon in den ersten Tagen den Fehler, daß ich zuviel arbeitete. Mein Vorgänger hatte täglich ungefähr 32 Zentner Teig fertiggebracht, ich schaffte weit über 40. Als ich nun nach dem ersten Ansturm etwas nachlassen wollte, ging es nicht mehr. Der Meister beschloß, jetzt auch Lebkuchen zu machen, und hatte außerdem zwei neue Keksmacher angestellt. Ich kam kaum mehr zum Atmen. Mit fast lahmen Gliedern begann ich am Morgen. Es war schon winterkalt auf den Straßen, und wenn ich in den Keller stieg und so vor meiner Teigknetmaschine stand, tat die Hitze wohl. Dann aber wurde sie unerträglich. Es dauerte stets einige Zeit, bis man sich an alles gewöhnte.
Den ganzen Tag brannte das elektrische Licht hier, trotzdem aber war es halbdunkel. Wände und Decke troffen unaufhörlich von geronnenem Dampf. Aufpassen hieß es, daß man nicht ausrutschte auf dem glitschigen Boden. Alles: Halblicht, Gestank, Dreck, Teig, Staub und Dampf schien zu guter Letzt zu kochen. Hitze! Hitze, zehrende Hitze!
Es begann. Ich rannte mit dem Kübel in den Mehlraum. Der war eiskalt. Tür und Fenster waren herausgenommen. Ich füllte den Kübel, rannte zurück in den heißen Backraum, wieder heraus, wieder hinein, schüttete den Bottich voll, goß flüssig gemachte Trockenmilch und zerlassenes Fett hinein, warf Zucker und zerriebenes Ammonium dazu, riß den gußeisernen Knetarm herunter und schaltete den Motor ein. Dann hinauf in den kalten Hof zum Sirupholen. Vier, fünf Kübel, genug war es. Die Arme taten weh. Beim Herausnehmen der Teigrationen aus dem Bottisch glitt ich immer wieder aus. Die Knie schmerzten vom Hinstemmen. Der Körper zitterte. So ging es auch noch beim zweiten und dritten Male. Auf einmal aber packte einen die Wut, eine sinnlos verbissene Wut - und alle Lahmheit war weg. Der Schweiß brach aus allen Poren. Hemd und Hose wurden naß, immer nasser. Alles klebte zuletzt an einem. Die dicken Schweißtropfen rannen aus dem Haar über die Stirn und in die Augen, von den Backen und von der Nase in den Mund, von den Schultern auf die Brust und in den Teig, von den aufgeriebenen Achselhöhlen über die Hüften, die Beine abwärts in die heißen Schuhe. Jetzt war man selber Teig. Jetzt aber war man in der Gleichförmigkeit der Bewegung. Mechanisch schuftete man. Keine Müdigkeit gab es mehr. Aber wenn's Mittag oder Schluß am Abend war, wenn ich den Motor ausschaltete, um mich anzuziehen und zum Essen oder nach Hause zu gehen, dann konnte ich kaum noch die Füße heben. Es tat weh, in die Joppe zu schlüpfen. Am liebsten wäre ich hingefallen in den klebrigen Dreck und eingeschlafen.
Wie in einem ständigen Traumzustand tappte ich auf der Straße dahin. Das Mittagessen im »Katholischen Gesellenhaus« fraß ich hinunter, fraß noch einmal, nur damit die Zeit weg war. Erhob mich endlich wieder und wankte zurück in die Kellerhölle. Weiter ging es. Die frische, kalte Luft schmerzte. Es war, als risse sie die Haut auf dem Gesicht entzwei. An keinem Abend aß ich was. Wie ein Sack fiel ich auf den Diwan, hockte und
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