Wir sind Gefangene
schlechte Gewissen schlug mir, denn im Grunde wußte ich sehr wohl, daß ich eine recht fragwürdige, bettelhafte Schwindelei inszeniert hatte. Trotzdem: Angefangen war angefangen, hörte ich jetzt auf, so kamen die Leute womöglich mit Nachforschungen, mit der Polizei. Also begab ich mich in die Wohnung des Doktor Krell. Es war sehr elegant dort. Parkettböden und an den Wänden schöne, alte Stiche. Vom Fußboden bis knapp zur Decke reichende Büchergestelle, gefüllt mit den luxuriösesten Bänden. Ein Dienstmädchen meldete mich, Herr Doktor erschien im kurzen Morgenrock. Er zog einen Fuß etwas nach. Ich grüßte devot und unbeholfen und wollte gleich zu klagen anfangen. Der Herr mit dem scharfgeschnittenen Gesicht musterte mich ein wenig geringschätzig und bat mich, zu warten. Er verschwand durch die hohe, weiße Tür. Ich blieb benommen auf dem Parkettboden stehen und wagte nicht, mich auf die seidenüberzogenen, antiken Polsterstühle zu setzen. Das war immer mein Fluch. Ich verlor durch die Umgebung stets die Fähigkeit, richtig zu überlegen, und alles war dann mehr oder weniger Glückssache. Ich glotzte dumm in den Raum und wartete. Der Doktor öffnete die Tür und sagte: »Bitte.« Ich tappte ungelenk in den anderen Raum, blieb wieder stehen, als warte ich auf die Weisungen des Herrn, der sich nun weltmännisch sicher in einen der breiten Ledersessel sinken ließ und anscheinend Akten über mich
durchblätterte.
»Bitte, wollen Sie sich setzen«, sagte er kühl und schaute mich schon wieder so merkwürdig an. Ich ging an den Tisch, gab ihm die Hand, etwas überrascht gab er mir die seine, und endlich nahm ich Platz. Was der Herr für feingliedrige Hände hatte! Ein Ring mit einem länglichen Stein war an seinem linken Ringfinger. Und diese wunderbare Wohnung! Also, wenn man einmal richtig verlegt wird, Herrgott, das ist eine Sache!
» Im Sturm und in der Aktion haben Sie schon Arbeiten veröffentlicht?« fragte der Doktor und prüfte mich wieder. »J-ja.«
»Da bekamen Sie aber nichts ... Sturm und Aktion bezahlen bekanntlich kein Honorar ... Wovon haben Sie denn gelebt? Von der Schriftstellerei?« wandte er sich abermals an mich. Ich stockte, wurde rot.
»Ich hab' in Bäckereien gedient, Herr Doktor - und - und jetzt arbeit' ich in einer Keksfabrik, aber jetzt bin ich krank - ich hab' auch schon einmal in der Jugend was gehabt und in der Münchner Illustrierten Zeitung «, stotterte ich.
Der Doktor hob sein Gesicht vollends: »Wo haben Sie studiert?«
»I-in München - und - und dann Privatstudien.« »Waren Sie auf dem Gymnasium?«
»J-ja«, log ich.
»In welchem denn ...?« fragte der Mann - wie mir schien - mißtrauisch. Ich wurde blaß. Der kalte Schweiß kam mir. Ich wußte nicht mehr weiter.
»In - in dem in der Löwengrube ... Ich weiß nicht mehr genau -«, hastete ich abgehackt heraus, wurde völlig wirr und brach ab. »So ...? Natürlich wird alles durch Nachforschungen festgestellt werden«, sagte der Doktor nur noch, erhob sich ziemlich abweisend und geleitete mich zur Tür: »Sie bekommen dann Bescheid.« Ich rannte die Treppen hinunter, an die Luft. Ich lief förmlich davon. Jetzt bist du im Schlamm, sagte ich mir und malte mir schon aus, daß eines Morgens die Polizei käme:
»Herr Graf, Sie haben da herumgebettelt. Kommen Sie mal mit«, und dann - ja, wie das eben so verläuft mit solchen Taugenichtsen. Ich ging dahin, ganz klein und zerdrückt. Ich entsinne mich solcher Augenblicke mit aller Deutlichkeit. Es war immer mehr Angst als Reue. Es war etwas unbeschreiblich Widerwärtiges, was dann Herr über mich wurde. Zuletzt kam dann zur Angst noch der Ekel. Tagelang hielt eine solche Zerknirschung manchmal an. Ich wußte nicht mehr aus und nicht mehr ein und tat, was ich oft daheim getan hatte, als Lausbub, wenn mein Bruder Max etwas erfahren hatte, das mir unweigerlich Prügel eintrug - ich legte mich ins kalte Bett und fing ganz einfältig an, das Vaterunser zu beten. Du beichtest und kommunizierst und wirst ein anständiger Mensch, dann verläuft am Ende alles wieder gut, erwog ich. Und dann - dann nie wieder! Nie wieder!
Jede Nacht träumte ich von der Polizei, von meiner plötzlichen Verhaftung, und am Morgen erwachte ich zerschlagen und furchtsam.
Ich wollte schon dem Doktor Krell einen reumütigen Brief schreiben und ihn bitten, inständigst bitten, er sollte nichts weiter gegen mich unternehmen. Hin und her überlegte ich. Flucht, nichts wie davon, war mein
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