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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Mann sei und schrieb sofort an das Amtsgericht Starnberg. Vor allem machte es mir eine höllische Freude, daß meine Leute daheim gar nichts von meinen Machinationen erfahren würden, wie mir Direktor Hartmann gesagt hatte.
    Selig schlief ich ein an diesem Abend, munter rannte ich am Morgen in die Keksfabrik. Die Arbeit rann jetzt wie etwas Beiläufiges neben mir her. Ich sang während des Surrens und Tobens. Die Heiratskandidatinnen hatte ich ganz vergessen. Trotzdem lief ich jeden Mittag eilig nach Hause und sah nach, ob Briefe eingetroffen seien. An einem Tag lag ein Zettel da: »Bin heute abend im Cafe Arkadia , wichtig. Komm hin, ich warte, bis du kommst, Georg.« Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Solche plötzlichen Besuche konnten mich oft völlig aus dem Geleise bringen. Sie rissen das tägliche Denken jäh auseinander.
    Beim letzten Mal in Haar, als mich mein Kamerad besucht hatte, erzählte er mir schon so merkwürdige Dinge von einem »Scheidemann-Frieden«, von Franz Jung und den Oehrings, von Liebknecht und dem geheimen Spartakusbund. Aus seinen Briefen erfuhr ich ab und zu etwas von ihm und meinen Bekannten. Er hatte seine Ölbilder im Sturm in Berlin ausgestellt, Jung war bei einer Handelszeitung Redakteur geworden, hielt selber eine Handelskorrespondenz, schrieb Romane, war mit den Spartakisten sehr bekannt und trieb im Auftrage seiner Zeitungen Propaganda für den Zigarettentrust. Eine von Jung herausgegebene Zeitschrift, Die freie Straße , erhielt ich hin und wieder. Es standen allerhand wortreiche, verzwickte Aufsätze und Romanabschnitte drinnen, die nach meinem Auffassungsvermögen ungefähr so etwas wie die völlige Freiheit des Individuums, die gänzliche Umwandlung der Beziehung zwischen Mann und Weib und Ethik auf psychoanalytischer Grundlage propagierten. Ich verstand sie nicht, fand sie aber ungeheuer bedeutend. Ich schrieb dazumal sofort derartige Abhandlungen, schickte sie an Jung und erhielt auf meine dummen Briefe grobe, unverständliche Antworten, ungefähr so: »Dein beispielloses Idiotentum und deine sexuellen Verdrängungen kannst du woanders anbringen. Wir haben nichts miteinander zu tun.«
    Jetzt war Schorsch da. Es mußte etwas Ungewöhnliches passiert sein, und er konnte in allem Auskunft geben. Ich fragte meine Logisfrau noch einmal. Ja, der Herr sei dagewesen, ja, aus Berlin sei er.
    Ich aß nichts zu Mittag diesmal, die Stunden verrannen viel zu langsam. Am Abend fand ich einen Brief von der idealgesinnten Dame mit beigelegtem Bild auf meinem Tisch. Mit steiler Schrift, die eine komische Unbeholfenheit verriet, war auf ein etwas parfümiertes Elfenbeinleinenpapier geschrieben, ich sollte morgen um acht Uhr an der Ecke Goethestraße sein. Erkennungszeichen eine illustrierte Zeitung in der rechten Hand. Das Bild zeigte eine dekolletierte Dame mit schlankem Hals und ziemlich ältlichem Gesicht, dem man deutlich ansah, wieviel Mühe daran verwendet worden war, es jünger zu machen. Die Haare waren füllig und anscheinend schwarz. »Minna Sauer 1917« stand schräg in einer Ecke des Bildes.
    Seltsam! Es überrieselte mich heiß. Ich sah nicht auf das Gesicht. Auf die nackten Schultern blickte ich, auf die Brust. Unruhe faßte mich.
    Aber dazu war jetzt keine Zeit. Ich warf mich in meinen guten Anzug und fuhr zum Cafe Arkadia . Da saß Schorsch mit Lollo und Betty, zwei Modellsteherinnen, die wir noch von früher kannten. Er lachte mir breit entgegen. Etwas glasige Augen hatte er und sah schauerlich aus mit seinem eckigen Kopf, den er diesmal ganz kurz geschoren hatte. Rasch setzte ich mich. Die zwei Mädchen kicherten und bestürmten mich mit Fragen. »Ja-ja«, antwortete ich nur immer und lachte ebenfalls.
    »Mensch, was ist denn los mit dir? Was machst du denn?« fragte Schorsch und hieb mich kräftig auf die Schulter. Er roch nach Schnaps und rülpste.
    »Nichts, was werd' ich machen? ... In der Keksfabrik arbeite ich. Und was ist mit dir und Jung und den andern los?« fing ich zu fragen an. »Zu was bist du hierher gekommen?«
    »Ich hab' den ganzen Tag mit der Sittenpolizei zu tun gehabt ... Diese Hunde!« knurrte er und biß seine zerschundenen Zähne aufeinander. »Mit der Sittenpolizei?« fragte ich verblüfft und wollte mehr wissen. In diesem Augenblick aber stießen sich die Mädchen wieder und tuschelten etwas von »dummen Weibern«, deuteten auf den anderen Tisch. Dort saßen zwei bürgerlich gekleidete Mädchen, die Schorsch - wie ich nachher erfuhr - ebenfalls

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