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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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hierher bestellt hatte. Sie sahen immerzu herüber und schienen sehr ärgerlich über die beiden Modellsteherinnen zu sein. Schorsch und ich kümmerten uns aber wenig und nun berichtete er mir folgendes:
    Vor einiger Zeit hatte er einen Brief aus München bekommen von einer Freundin der Finny, worin ihm mitgeteilt wurde, daß diese letztere nun ins Arbeitshaus komme, er solle helfen. Finny war nämlich auch Modellsteherin gewesen, und mit ihr hatte Schorsch während seiner Münchner Zeit einige Wochen zusammengelebt. Dann war sie Weinhauskellnerin und schließlich auf die Straße gegangen. Eines Tages hatte sie die Sittenpolizei verhaftet. Damals propagierte Franz Jung als ersten Schritt zur völligen Umwandlung der Gesellschaft vor allem die gänzliche Befreiung der Frau, betrachtete das Weib gewissermaßen als eine Sache, die der Staat zu erhalten habe, und Schorsch war nicht weniger davon überzeugt, daß das eine sehr revolutionäre Angelegenheit sei. Darum machte er sich nach Erhalt des betreffenden Briefes sofort daran, in Aktion zu treten. Er trat überhaupt immer in Aktion, wenn es gegen die gültigen Rechtsformen und Staatseinrichtungen ging. Er suchte einen Berliner Rechtsanwalt auf, und dieser riet ihm, Finny pro forma zu heiraten und sich nach ihrer Befreiung wieder von ihr scheiden zu lassen. Alles war schon soweit in die Wege geleitet, daß Aussicht auf Erfolg bestand. Schorsch fuhr nach München, ging in den Justizpalast, um mit dem Amtsrichter Rücksprache zu nehmen und mußte ziemlich lange warten. Um sich die Langeweile zu vertreiben, ging er auf dem Gang hin und her und las an den Gerichtszimmern die Verhandlungszettel. Und da fand er unter anderen Namen auch den einer früheren Bekannten, der man ebenfalls den Prozeß wegen gewerbsmäßiger Unzucht machte. Sofort trat er in den Zuhörerraum und stand mitten im Hinundherreden der Richter plötzlich auf, begann brüllend das Mädchen zu verteidigen. Man wies ihn zurecht, wurde entrüstet, drohte mit Verhaftung. Er schrie noch mehr. Das Mädchen wurde verurteilt, und als Schorsch sie im Gang sprechen wollte, drängte ihn der Sittenkriminaler weg. Er geriet mit ihm in Streit, fing zu schimpfen an, brüllte, und das machte die ganze Sache mit der Finny zunichte. Ausgerechnet nämlich war jener Kriminaler im Vorzimmer des Amtsrichters, mit dem Schorsch zu tun hatte. Kaum war er eingetreten, sagte der hohe Herr schon: »Jaja, Sie kennen wir ja schon ... Ihr Gesuch kann unter diesen Umständen natürlich nicht genehmigt werden.«
    Um sich eine gelenkige Zunge zu erhalten, hatte Schorsch vorher Schnaps getrunken und wollte nun energisch dagegen Verwahrung einlegen. Der hagere Amtsrichter aber hob nur die flache Hand vor sich hin und sagte kurzerhand: »Geh'n Sie weg! Sie riechen nach Schnaps! Mit so was verhandle ich nicht!«
    Finny war also verloren, die ganze Aktion zwecklos verlaufen. »Pack! Pack! Das ist der Staat!« schimpfte Schorsch.
    »Mensch, das hättest du dir doch denken können!« sagte ich und hatte Mühe, ihn zu beruhigen. Betty blickte gelangweilt herum. Lollo sagte vom Richter: »So ein gemeiner Mensch!« Ich wurde ungeduldig und wollte endlich was von Berlin, von den Friedensaussichten und von den Bekannten erfahren. Da stand am Nebentisch eines der bürgerlichen Mädchen auf und ging halb lächelnd an uns heran.
    »Das ist die Selma Igl«, brummte Schorsch, »du kennst sie ja noch, oder?«
»So?«
    Ich besann mich. Selma Igl reichte mir die Hand. Giftig schauten sie die Modellsteherinnen an. Ich machte Platz.
Ja - jetzt erinnerte ich mich!
    Vor dem Krieg hatte Schorsch sie durch ein Heiratsinserat kennengelernt, verkehrte während seiner ganzen Münchner Zeit mit ihr, und ich schrieb ihr einmal, ohne meinem Kameraden etwas davon zu sagen, einen Liebesbrief. Wir trafen uns.
    Richtig! Sie hatte damals gesagt: »Wissen Sie, Herr Graf, seien wir ganz offen. Sie sind mir zu jung.« Ohne Feindschaft waren wir damals auseinandergegangen. Aber an solche Sachen erinnert man sich nicht gerne. Ich verwünschte das ganze Zusammenkommen mit Schorsch. Nichts konnte man reden. »Wie geht es Ihnen denn, Herr Graf? ... Kommen Sie doch mal zu mir ... Man hat ja so wenig Menschen«, sagte Selma Igl und zu Schorsch gewendet: »Du mußt jetzt fahren. Es ist Zeit.«
    Geräuschvoll bezahlte Schorsch. Wir erhoben uns und gingen zum Bahnhof. Ich neben Schorsch, zwischen Lollo und Betty, hinterdrein Selma Igl und ihre Freundin.
    »Daß du ihr ja nicht meine

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