Wir sind Gefangene
ebenfalls flüchtig und verließ den Laden. Den ganzen Vormittag durchlief ich die Warenhäuser und kaufte. Krawatten, einen Skisweater, Bücher, lederne Notizblocks, ein vernickeltes Tee-Ei, Messer und Gabeln, kunstgewerbliche Tassen, einen Schirmstock.
Wahllos kaufte ich. Was mir in den Sinn kam, nahm ich. Die Stunden verliefen viel zu langsam, und das Geld rann weg wie Fett in der Sonne. Ich setzte mich in ein Kaffeehaus, ließ Tinte und Feder kommen und schrieb an Emma einen Brief: »Liebe Emma! Jetzt endlich bin ich soweit, daß ich Dir das Geld, das Du mir damals zur Herausgabe meines Buches geliehen hast, zurückzahlen kann. Ich schicke es heute noch ab. Sende eine Quittung dann. Du weißt ja noch, es ging damals alles schief, ich mußte zahlen und dann machte der Verleger Bankrott. Das kommt aber nicht mehr vor. Immer hab' ich gedacht, einmal kommt doch die Zeit, wo du die fünfhundert Mark zurückzahlen kannst. Jetzt geht es. Vielleicht schicke ich gleich alles, wie ich eben kann. Herzlichen Gruß an Mutter und Theres, Dein Oskar.«
Triumphierend ging ich zur Post. Aber schon überlegte ich wieder anders. Zu viel Geld war schon weg. Ich schickte nur hundert Mark. Dann traf ich Nanndl. Lustig machten wir uns auf den Weg und kauften einen dunkelgrünen, modernen Anzug und einen hellen, grünbraunen Paletot.
»Schick bist du jetzt, ja«, sagte Nanndl und betrachtete mich. »Jetzt brauchst du bloß noch einen richtigen Hut dazu.« Sie mußte wieder ins Geschäft. Ich betrat gleich den nächstbesten Hutladen und erstand einen geradezu phantastisch breitkrempigen, schwarzen Velourshut, um auch ein wenig künstlerisch zu erscheinen. Damit die Zeit verstrich, ging ich in ein Kino und kam erst nach Torschluß nach Hause.
Hastig verschloß ich die Tür hinter mir, machte Licht und Feuer. Dann breitete ich meine ganzen Habseligkeiten auf dem Boden aus und betrachtete sie. Jedes Stück musterte ich immer wieder, immer wieder. Eine Hitze stieg in mir auf. Großschrittig tappte ich auf und ab.
Jetzt hast du alles, jetzt ist die Sache einfach. Nun bist du eine Erscheinung, dachte ich: Die Welt gehört dir, anfangen kannst du! Nanndl hatte mir gute Seife, Kölnisch Wasser und Handcreme gegeben. Ich wusch mich von oben bis unten und zog neues Zeug an. Stolz und siegesgewiß stellte ich mich beim Lampenschimmer vor den Spiegel, setzte meinen großen Hut auf, nahm den Schirmstock kokett in die Hand wie eine bekannte Tagesgröße, die sich photographieren läßt.
Ja, jetzt war ich wirklich ein anderer Mensch. Zwar hatte ich nur noch sechshundert Mark und wollte doch Emma noch Geld schicken. Aber das konnte ich ja später tun. Die sechshundert Mark waren immer noch eine Riesensumme.
Wieder schaute ich in den Spiegel. Ungeheure Befriedigung durchrieselte mich. Ich beschloß, morgen zum Arzt zu gehen und mich bei der Krankenkasse anzumelden, denn zum Kündigen beim Meister hatte ich keinen Mut. Das war der einfachste Weg. Ging es schließlich doch schief, waren die Türen noch alle offen, man konnte wieder arbeiten und hatte die Stelle noch. Und so kommst du ohne viel Schwierigkeiten los und brauchst nicht alles kurz und klein schlagen, überlegte ich.
V
DEM GOCKEL STEIGT DER KAMM
Ich ging zum Arzt. »Stirnhöhleneiterung«, sagte der. Ich wußte es. Diese Krankheit hatte ich mir vom Kriegsdienst herübergerettet. Ein sehr angenehmes Leiden ist das: Man ist gewissermaßen krank in Permanenz, kann zum Arzt gehen, wann man will, unfehlbar schreibt er einen »arbeitsunfähig«. Kopfweh hat man ab und zu mehr oder weniger und Eitererguß aus der Nase. Das ist alles.
Jede Woche mußte ich nun zweimal zum Arzt. Der betupfte mein Naseninneres mit Kokain. Eines Tages dann begann er drinnen kleine Stücke wegzuschneiden und riß sie mit einer feinen Drahtschlinge herunter. Es blutete sehr. Der Kopf surrte geraume Zeit, dann war es frei im Hirn. Spülungen mit Borsäurelösung sollte ich jeden Tag zwei- bis dreimal machen und keine Zigaretten rauchen. Ich hielt mich aber nicht daran.
Seit ich geschnitten worden war, nahm ich meine Krankheit sehr ernst und betrachtete mich geradezu als Märtyrer meines Kopfes. Jedem Menschen erzählte ich davon, meinen Logisleuten, Unbekannten, die mir im Kaffeehaus gegenüber saßen, und nach Hause schrieb ich davon. Ich konnte nun meine Zeit verbrauchen, wie ich wollte, und erhielt Krankengeld. Voll Unternehmungslust war ich. Eines Morgens brachte mir der Briefbote einen eingeschriebenen Brief
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