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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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keck auf die anderen Leute.
    »Einen Mokka! ... Es ist kalt draußen gewesen«, sagte sie, und ich merkte, daß sie eine zu lange Zunge hatte und das »s« wie das englische »th« aussprach. Dann lächelte sie wieder.
    Ich betrachtete sie unbemerkt genauer. Wirklich stattlich war sie. Jene mir so liebe, etwas aufdringliche und respekteinflößende Gutangezogenheit bürgerlicher Damen war an ihrer Kleidung. Aus dem halbtiefen, spitzen Blusenausschnitt lugten zarte Spitzen und ein blaues Seidenbändchen, zu einer zierlichen Masche geknöpft. Ihre Haut war sehr weiß und ziemlich gepudert. Ringe hatte sie an den Fingern!
    Das Gespräch wollte absolut nicht werden. Der Kellner brachte die Mokkatassen und Gebäck. »Diese Kälte heute«, sagte sie abermals.
    »Ja ... Ein ekelhafter Winter, das! ... Aber da herinnen ist's warm«, antwortete ich. Sie sah mich prüfend an.
    »Wie alt sind Sie, Herr Graf?« fragte sie. Ich wurde rot und fast ärgerlich, denn ich hatte es ihr doch geschrieben! »Ich bin jetzt vierundzwanzig und - Sie?« fragte ich.
    Sie verzog ein klein wenig ihre Mundwinkel, antwortete nichts und sagte nur: »Da wären wir doch unterschiedlich im Alter ... Ich suche nämlich etwas Gesetzteres ... Sie werden mir das ja nicht verübeln, Herr Graf, nicht wahr?«
    »Ja - Also dann ist's nichts mit uns?« fragte ich unsicher und plagte mich, eine arglose Miene zu machen.
    »Und dann, wissen Sie, eigentlich suche ich einen Herrn in fester Position ... Ich habe eine schöne Wohnung ... Ich habe noch nie mit Künstlern verkehrt...« Geziert sagte sie es.
    »Hm! ... Tja, da läßt sich eben nichts machen! ... Es ginge vielleicht doch! ... Aber ich zwing' Sie natürlich nicht«, redete ich mit aller Gelenkigkeit. Aber sie schüttelte den Kopf und lächelte wieder ironisch.
    Nun kamen die Mokkaapparate. Eine neue Angst befiel mich. Mit Bedacht hatte ich bis jetzt meine roten Hände unter dem Tisch versteckt, und nun kamen diese gottverdammten Maschinen! Es hatte auch gar keinen Zweck, ihnen vorläufig keine Aufmerksamkeit zu schenken. Meine Begleiterin schenkte sich bereits ein. Wohl oder übel mußte ich es auch tun. Verzweifelt genau blickte ich hin, wie sie das bewerkstelligte. Der kalte Schweiß rann aus meinen Achselhöhlen. Das bringst du nie fertig, sagte ich mir und wollte schon die Hände unterm Tisch heraufnehmen. Gott sei Dank sagte aber in diesem Augenblick meine Begleiterin: »Soll ich Ihnen eingießen?«
    »J-ja, bittschön!« erwiderte ich mit aller Eilfertigkeit. Ein Stein fiel mir vom Herzen. Bewundernd sah ich ihr zu. Herrgott, wirklich, so eine Frau, das schien doch etwas Herrliches zu sein! Schade! Herrgott, sie mußte mich doch mögen! Ich fing von neuem an. »Wissen Sie, Sie müssen denken, wenn man ein Schriftsteller ist, da muß man möglichst jung anfangen ... Es ist schon wahr, es ist schwer, bis man es zu was bringt, aber darum brauch' ich ja eine Frau ... Ich will Ihnen da gar nichts vormachen«, sagte ich treuherzig und beschrieb alle Möglichkeiten recht einladend. Aber sie war um alles in der Welt nicht umzustimmen. Ich ärgerte mich zuletzt direkt sichtlich über ihr ewiges Kopfschütteln und zweifelndes Lächeln. Immer kam sie mit ihrem »Herrn in besserer Stellung« und mit dem Altersunterschied daher!
    Etliche peinliche Pausen waren im Gespräch schon entstanden. Endlich meinte sie wieder: »Ja, es ist schon spät ... Ich muß heim, Herr Graf.«
    Obwohl ich froh war, redete ich ihr doch zu, noch ein wenig zu bleiben. Es half nichts. Ich winkte dem Kellner. »Alles zusammen«, sagte ich großspurig. »Nein! ... Nein! ... Ich bezahle für mich selber, bitte!« fuhr sie mir ins Wort. Offensichtlich beleidigt sah sie drein. Der Kellner hielt unschlüssig inne, ich schaute sie ebenso an. »Aber bitte!«
    »Nein - nein! Was denken Sie! Das kann ich doch nicht!« wehrte sie fast heftig ab und nahm ihr Geld aus der silbernen Tasche, wandte sich an den Kellner: »Ich habe einen Mokka und zwei Gebäck.« Ich ließ sie bezahlen, bezahlte auch, und wir gingen.
    »Ich lasse mir doch von einem Herrn nicht bezahlen«, schwätzte sie entrüstet, während wir das Cafe verließen. Benommen ging ich neben ihr her, bis zur Goethestraße. An der Ecke sagte sie, jetzt müsse ich gehen. Ich zog meinen großen Hut, drückte ihr die Hand, versprach, die Photographie zurückzusenden und ging.
    Reges Leben herrschte noch auf den Straßen. Schnee fiel. Die Leute hasteten vorüber. Ich war traurig. Alles kam mir

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