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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Kleinlaut gab ich Antwort und - eigentümlich - sogleich hatte ich sie auf meiner Seite. »Soso! ... Stirnhöhleneiterung? ... Mein Gott, da haben S' nichts Schönes gehabt! ... Ich weiß es von unserm Herrn ... Der hat's auch gehabt und hat sich deswegen operieren lassen müssen«, erzählte sie, und ihr Gesicht wurde bedeutend teilnehmender. Gleich meldete sie mich beim Meister. Ich war schon wieder mutiger. Recht mitleiderregend wollte ich meinem Bäckermeister-Leidensgenossen meine Krankheit schildern. Mit dem wehleidigsten Gesicht trat ich kurz darauf ins Büro und wollte gleich das Gejammer anfangen. Aber ich kam kaum zu Wort. Der Meister wandte mir sein vielbeschäftigtes, nüchternes Gesicht zu und sagte trocken: »So, sind S' wieder gesund, Herr Graf? ... Können Sie jetzt wieder anfangen?« Und als ich nickend bejahte, meinte er noch flüchtig: »Lassen Sie sich operieren, das ist das beste!... Gehn Sie zum Hofrat Mahr, der hat mich behandelt ... Dann haben Sie alles schnell los.« Mit der fühlbaren Absicht nach schneller Erledigung sprach er alles. Ich nickte enttäuscht, schwieg zu allem, nickte wieder und ging. Am Montag sollte ich anfangen. Es war Samstag. Ein und einen halben Tag Freiheit hatte ich also noch. Eilig kaufte ich Wurst und eine Flasche Rotwein für Mutter, fuhr gedankenlos zum Bahnhof und von da aus nach Hause. Erst als ich in Starnberg aus dem Zug stieg und aufs Dampfschiff trat, war mir ein wenig freier. Jetzt erst konnte ich einen Gedanken fassen und bereute schon wieder alles. Sicherlich hatten meine Schwestern inzwischen von der Machination mit meinem Vermögen erfahren, ging mir durch den Kopf. Streit wird es geben, Vorwürfe und zuletzt vollkommenen Bruch. Weiß der Teufel, warum ich herausgefahren war! Wie einem Verbrecher, der nicht mehr Herr über seine Unruhe ist, war mir zumute. Ich wollte etwas loswerden und wußte nicht einmal was.
    Es ereignete sich aber nichts Besonderes. Durch Emmas Briefe hatte ich schon erfahren, was für Veränderungen daheim eingetreten waren. Wieder war es gekommen wie damals, als Max geheiratet hatte. Nach Hader und Streit mit der Witwe meines Bruders zogen Emma und Theres mit Mutter abermals in jenes kleine Häuschen, in welchem sie schon seinerzeit in Miete gewesen waren. Sie hatten es jetzt ganz in Pacht genommen und eröffneten genauso wie damals wieder eine kleine Damenschneiderei mit einem damit verbundenen Hut- und Putzgeschäft. Mutter führte den Haushalt, Theres fertigte Hüte an und schneiderte nach den Angaben Emmas, die mittlerweile völlig bettlägerig geworden war.
    Meine Mutter stand am Herd und rührte in einem brodelnden Topf mit Hühnerfutter, als ich in die kleine, niedere Küche trat. Die ganzen Zimmerböden hatte sie eben gescheuert und war noch naß bis zu den Knien hinauf.
    »Thm, du? ...? Bist mit 'm Einuhrschiff gekommen?« sagte sie wie immer.
    »Jesus, der? !« sagte in diesem Moment auch Theres im Türrahmen ihres Schneiderzimmers und sah mich von unten bis oben an. Und Emma rief von droben aus dem Bett mit schwacher Stimme: »Oskar? ... Bist es du? ... Komm gleich rauf!«
    Ich legte meinen Mantel hin, stellte meinen Koffer ab und ging zu ihr hinauf. Bleich und erschreckend mager lag sie in den weißen Kissen und atmete sehr vernehmbar. Schwach lächelte sie, wurde aber gleich lebendig, als sie mich ansah.
    »Ja, Bub! Du bist ja piekfein!« rief sie und bewunderte meinen Anzug. »Wo hast du denn das viele Geld her? ... So schnell geht doch das Sparen nicht?« Und immer wieder, immer wieder sagte sie fröhlich: »Schön bist! Sehr schön!«
    Ich wußte nun, daß man noch keine Ahnung von meiner Geldgeschichte hatte und wurde belebter, erzählte allerhand in bezug auf mein plötzliches Geldhaben. Sie hörte zu und machte ein ganz glückliches Gesicht. Dann wurde sie nachdenklicher.
    »Ja«, sagte sie zuletzt, »du bist ein Kind der Liebe ... Vielleicht wirst du noch ein berühmter Mann.« Das viele Reden hatte sie angestrengt. Sie sank tiefer in die Kissen zurück und begann zu hüsteln, immer mehr, immer ärger. Große rote Flecken erschienen auf ihren eingefallenen Wangen.
    »Mit mir wird's bald dahingehn... Durch und durch tuberkulös hat der Bezirksarzt voriges Mal gesagt«, hauchte sie gelassen heraus und setzte hinzu: »Das andere Geld brauchst mir nimmer geben ...« Dicken Schleim spuckte sie mühselig heraus und sagte jedesmal: »Siehst! ... Rot ist er ... Das kommt alles von der Lunge.« Keuchend lag sie

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