Wir sind nicht schwul (German Edition)
zu werden. Irgendwann einmal hat es mir gereicht und ich wollte nicht mehr nur das tun, was andere von mir erwarten. Also habe ich mich grundlegend geändert, bevor ich meinen Selbstmordgedanken nachkommen konnte.
Tut mir leid, dass ihr das erst jetzt und auf diese Weise erfährt, aber eigentlich wollte ich nie wieder darüber nachdenken. Mikage ist schuld … garantiert. Niemand hat jemals danach gefragt, was ich wirklich will.
Was ich damals verändert habe? Meinen Charakter, mein Äußeres, die Richtung, in die ich gegangen bin. Ich habe angefangen „Nein“ zu sagen, wenn ich etwas nicht will und aufgehört zu lachen, wenn ich es wirklich nicht witzig finde. Und ich habe nie wieder geweint.
Aber.
Schon die ersten paar Tage in Japan und die Leute, die sich um mich versammelten, haben mich so derartig durchgerüttelt, dass ich gar nicht mehr wirklich sagen kann, wer ich bin. Verändere ich mich schon wieder?
„Finn-chin?“ Erschrocken fahre ich hoch und starre in Mikages Antlitz. Er schüttelte mich und ich hatte es nicht einmal bemerkt. „Mach das nie wieder! Du hast mich vielleicht erschreckt!“ Sogar er scheint etwas durch den Wind zu sein. Langsam lässt er mich wieder los. „Geht es dir gut? Du bist extrem bleich.“ Ja, neh! Ich bin ja auch weiß geschminkt, was nicht unbedingt nötig gewesen wäre, da meine Haut von Natur aus unnatürlich weiß ist.
„Ja, nein, aber ja“, rede ich mich raus und steige schnell aus dem haltenden Auto. Mikage folgt mir auf dieselbe Weise.
„Sicher? Wenn es dir nicht gut geht, bringe ich dich sofort zurück zur Unterkunft.“ Bloß nicht!
„Nein, mir geht es gut. Tut mir leid. Ich war etwas in Gedanken versunken.“ Mein Lächeln fällt sehr kläglich aus. Solange er sich damit zufrieden gibt, ist alles okay.
„Nun, gut. Folge mir einfach, ja? Es wird dir gefallen.“ Natürlich trotte ich hinter ihm her. Es ist das gleiche Gebäude, vor dem ich ihn gestern verlassen habe. Dieses Mal nimmt er mich gleich mit hinein. Drinnen befinden sich Absperrungen und einige Leute rennen geschäftig von A nach B.
„Das ist der Radioturm. Hier habe ich schon ein paar meiner Musikvideos aufgenommen. Hier werden auch die rechtlichen und notwendigen Dinge abgewickelt, was Konzerte anbelangt.“ Eine Frau bei der Absperrung grüßt Mikage freundlich, lässt sich jedoch kurz erklären, wer ich sei, bevor sie uns passieren lässt.
„Wieso wird kontrolliert, wer ein- und aus geht?“
„Weil nur Leute mit Bewilligung das Gebäude betreten dürfen. Es wird nicht jeder Schwachkopf oder Null-Acht-Fünfzehn-Musiker rein gelassen.“ Das Gebäude wäre sonst mehr als nur überfüllt, vor allem da die Anzahl all jener, die sich in der Musikbranche behaupten wollen, stetig steigt.
Auch hier sind die Wände alle weiß gestrichen. Dafür sieht man alle paar Schritte ein Bild an der Wand hängen, das eine Band, einen Sänger oder eine Sängerin zeigt. Von GierO sehe ich auch eines. Natürlich ein extrem Buntes, Schräges, mit Girlanden, diversen Süßigkeiten und Osterhasen.
Osterhasen?
Rosa Häschen. Auf dem Bild ist ein Ausschnitt ihre Songs „Plüschzucker“ abgebildet. Es handelt von der Idee, aus dem Kot von Tieren, genauer gesagt von Hasen, Süßigkeiten herzustellen, indem man sie mit Zucker und Lakritze füttert. Je nachdem, welchen Geschmack man haben möchte, kann man ihnen noch Kräuter zu Fressen geben. Ihre Vorstellung davon, wie Ricola erfunden wurde. Das Video ist sehr ulkig und surrealistisch. Ihr solltet es euch unbedingt einmal ansehen.
„Das Video dazu war ihr bisher Bestes!“ Mikage hat sich neben mich gestellt und bewundert mit mir das Bild von meinen Jungs.
„Den Namen der Band, deren Musik du am liebsten hörst, weißt du aber schon, oder?“, fragt er mich breit grinsend.
„Aber ja. Es geht dich nur nichts an.“ Ich hebe trostlos meine Schultern an. „Aber Utada Hikaru mag ich ebenfalls sehr. Liegt vielleicht daran, dass sie für Kingdom Hearts das Opening gesungen hat.“
Wissend hebt er einen Finger hoch und meint: „Nicht nur dieses Opening. Sie ist eine klasse Sängerin!“ Keine Eifersucht? Nein, das, was er da zeigt ist ehrliche Begeisterung und auch Bewunderung, obwohl seine Musik eine gänzlich andere ist, als die von Utada.
„Willst du ein paar Bilder von mir sehen?“
Habe ich denn eine Wahl? „Sicher doch.“
Er führt mich lange durch die im Kreis angelegten Gänge. Auf dem Weg erklärt er mir, dass sich im Radioturm auch
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