Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir sind nur Menschen

Wir sind nur Menschen

Titel: Wir sind nur Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
giftgrünen Wasser, Kompressen auf die Stirn mit einer breiigen Masse, zu der er die Blätter, Wurzeln und widerlich stinkenden Blüten aus den Urwaldsümpfen holte. Dr. Perthes ließ ihn gewähren, denn er wußte, daß gerade die Wilden in der Wundbehandlung wahre Meister sind und mit primitiven Mitteln erstaunliche Erfolge erzielen.
    Aus mitgebrachten Stahlinstrumenten ließ sich Perthes vom Schmied der Taràpas nach einer Zeichnung ein Glüheisen anfertigen. Als es ihm gebracht wurde, narkotisierte er von neuem den Kranken und begann, mit dem glühenden Eisen das Fleisch und den Wundbrand wegzusengen.
    Widerlicher Geruch zog durch die Hütte. Der Körper des Ohnmächtigen zuckte wild. Die Nerven drohten zu zerreißen; dann war das Brennen beendet. Die Wunde wurde mit antiseptischem Wundpulver und Penicillin ausgelegt und danach in Schichten zugenäht.
    Während dieser Operation stand Sapolàra wieder am Kopfende und beobachtete genau jeden Handgriff. Der alte Zauberer sah zum erstenmal in seinem Leben, wie ein menschlicher Körper schmerzlos operiert werden konnte, wie man Fleisch wegschneiden, ja wegbrennen konnte, ohne daß der Kranke schrie. Er erlebte erstmalig das Wunder der Narkose. Es war, als sei nach dieser radikalen Bekämpfung des Wundbrandes der Bann gebrochen. Das Serum zerstörte das Gift in der Blutbahn, die Entzündung ging zurück, die kühlen Umschläge des Zauberers bewirkten eine Erfrischung des Körpers und regten außerdem die natürlichen Widerstandskräfte, das wichtigste Hilfsmittel bei allen Heilungen, an. Das Bein verlor allmählich seine Unförmigkeit, es wurde wieder normal durchblutet, und eines Tages saß Sapolàna auf seinem Lager und beobachtete selbst, wie Perthes die Wundnaht kontrollierte und ihm eine Spritze gab. Kein Wort kam über die Lippen des Häuptlings, kein Muskel seines Gesichts verzog sich, als die Nadel in sein Fleisch drang und eine juckende Flüssigkeit in die Muskeln gespritzt wurde.
    Drei Wochen nach dem Kommen der weißen Ärzte trat Sapolàna zum erstenmal wieder, an einem Bambusstock gehend, vor seine Krieger. Jubel und lautes Trommeln schlugen ihm entgegen – ein Heer von Kriegskanus vollführte eine wahre Schlacht. Mit Staunen sahen die beiden Ärzte, die neben Sapolàna standen, daß die Taràpas nach strategischen Gesichtspunkten ausgebildet waren und ihre Kampfweise nicht undiszipliniert, sondern nach einem genauen Plan ausgerichtet war. Nun wurde ihnen auch klar, warum Sapolàna als Herr des Urwaldes galt, warum es gegen ihn keinen Widerstand gab und die Völker Kolumbiens, Perus und Venezuelas ihn als ihren Oberherrn anerkannten. Er verband mit der Wildheit des primitiven die Klugheit eines modernen Menschen, ein Naturtalent, wie es die Ärzte nie für möglich gehalten hätten, wenn es ihnen in Bogota oder in Köln erzählt worden wäre.
    Mit dem Fortschritt der Genesung wurde der Ring um den Häuptling immer enger gezogen. Nur noch Sapolàra durfte tagsüber in seiner Nähe sein – Dr. Perthes und Dr. Cartogeno wohnten mit ihrer Begleitung in vier Hütten, etwa 30 Meter außerhalb des Sperrkreises, den man um die Häuptlingshütte unsichtbar gezogen hatte.
    Nur einmal am Tag durfte Dr. Perthes, und nur er allein, nach Sapolàna sehen. Stumm saß er dann auf seinem Lager, ließ sich untersuchen und gab kein Zeichen irgendwelcher Regung ab. Stumm ließ er den Arzt wieder gehen, eine lebende Statue, ein Halbgott in den Augen seiner Völker. Ein Mann, der sich vor seiner eigenen Dankbarkeit fürchtete.
    Es war in der Mitte der vierten Woche, als Perthes wie jeden Morgen aus seiner Hütte kroch und zum Strand hinunterlief, um sich zu waschen. Dr. Cartogeno schlief noch. Verwundert blickte Perthes um sich. Der Strand war leer, an der Biegung des Flusses, wo sonst die Kriegskanus lagen, schaukelten nur noch die drei Expeditionsboote im Wasser. Jetzt erst sah er auch, daß die große Palmhütte abgebrochen worden war. Kein Taràpa war mehr zu sehen! Die Bucht war verlassen.
    Als habe er geträumt, wischte sich Peter Perthes über die Augen. Unmöglich, dachte er, gestern abend habe ich Sapolàna noch gesehen, wie er am Feuer stand und zuschaute, wie seine Krieger einen Tapir brieten. Die Aschenreste und die verkohlten Baumstümpfe lagen noch im Ufersand. Perthes ging mit großen Schritten zu seiner Hütte zurück und riß den Vorhang zur Seite.
    »Dr. Cartogeno!« schrie er. »Die Taràpas sind fort!«
    Der kolumbianische Arzt fuhr schlaftrunken hoch und

Weitere Kostenlose Bücher