Wir sind nur Menschen
kaum hörbar: »Peter muß seit drei Tagen von uns gegangen sein …«
Wortlos verließ Professor Window das Dienstzimmer, und man sah ihn an diesem Tag in der Lindenburg nicht mehr. Bleich und verbissen tat Dr. Sacher seinen Dienst. Er operierte, erledigte die Visiten, verband und untersuchte. Er stellte den Operationsplan für den nächsten Tag mit der Oberschwester zusammen und fuhr dann nach Hause. Dort setzte er sich unter die Tischlampe und holte sich sämtliche Werke über Toxikologie zusammen, die er besaß.
Die ganze Nacht hindurch saß er und las. Und je weiter er in das für ihn fremde Gebiet eindrang, um so größer wurde seine Achtung vor dem Freund, der sein Leben einsetzte für eine Wissenschaft, mit deren Umgang der Tod verbunden war. Als der Morgen ins Zimmer dämmerte, erhob er sich und knipste die Lampe aus. Jetzt muß ich es Angela sagen, dachte er. Jetzt gibt es keine andere Wahl. Jetzt wissen wir, daß er verloren ist. Und das Kind … Sie wird es ertragen müssen …
Er schlug sich an die Stirn, als könne er damit dem Lauf der Dinge eine andere Richtung geben. »Dieses Schicksal«, sagte er laut zu sich selbst. »Warum lebt man denn überhaupt, wenn man so grauenhaft sterben muß?«
Er setzte sich hin und schrieb Angela einen kurzen Brief. Er teilte ihr mit, daß von Peter wieder Nachricht gekommen sei, keine gute allerdings, und daß er nach Schöllang kommen wolle, um den Brief mit ihr zu besprechen. Ihr in diesem Brief schon die Wahrheit zu schreiben wagte er nicht.
Angela Bender aber wußte das Unglück bereits. Dr. Cartogeno hatte in seiner Not auch an sie geschrieben.
Einen Tag später war sie in Erlangen. Sie stand auf dem Bahnhofsplatz, das Kind dick eingewickelt im Arm. Ein Taxi brachte sie zu Professor Purr. Das Leben riß sie wieder in seinen Strudel …
Nachdem in den Urwäldern von Amorua die Taràpas mit ihrem Häuptling Sapolàna so plötzlich aus dem Gesichtskreis der Expedition Dr. Perthes verschwunden waren, öffnete sich ihr die Weite der Urwälder. Nach einer Ruhepause von vier Tagen war Dr. Perthes mit seiner Gruppe zurück über den See gefahren. Sie hatten die Ausrüstung überholt, und die beiden Ärzte hatten die Blutproben des Häuptlings behelfsmäßig ausgewertet und dann konserviert. An einem Ufer, das durch Rauchzeichen kenntlich war, warteten 50 Krieger der Taràpas, die durch die Trommel herbeigerufen worden waren. Sie sollten als zusätzliche Träger den Zug mitmachen, während Sapolàna einen seiner Unterhäuptlinge schickte, um die Expedition durch den Urwald zu führen.
Peter Perthes saß an diesem Abend über seine Karten gebeugt und studierte unter einer Petroleumlampe den Weg, den er am frühen Morgen beginnen wollte. Die Reise sollte quer durch den Urwald auf kleinen, schmalen Eingeborenenpfaden zum Quellgebiet des Cuno Mataveni gehen, einem Fleck Erde, der völlig unerforscht war. Von dort wollte man versuchen, abermals durch Neuland bis nach Ateimo am Rio Vichada vorzudringen, von wo aus man den Anschluß an Siedlungen von Weißen gewinnen konnte.
Dr. Cartogeno hatte die Mühe aufgegeben, Peters Pläne zu kritisieren. Er wußte, daß es keinen Sinn hatte und die Expedition doch nach dem einmal gefaßten Entschluß Peters verlaufen würde. Bis jetzt hatte sich seine Übersicht ja auch immer als richtig erwiesen, und seine Freundschaft mit Sapolàna war in Cartogenos Augen eine außerordentliche Leistung, die in die Geschichte des kolumbianischen Urwaldes eingehen würde. Wenn er jetzt noch Bedenken hatte, so waren es nur diese, daß das vor ihnen liegende Gebiet zu den unbekanntesten gehörte und man sich wahre Schauergeschichten über Bestien und Insekten erzählte, deren Gift alles bisher Bekannte weit übertraf. Cartogeno sagte das Peter nicht, denn er wußte, daß er ihn niemals davon abhalten konnte, in die Urwälder einzudringen.
»Wir haben unsere Taràpas«, pflegte Dr. Perthes auf derartige Vorhaltungen zu antworten, »sie kennen jeden Winkel der Wälder. Wir haben einen guten Führer und fünfzig Träger. Uns kann nichts geschehen …«
Am Morgen des fünften Tages brach die Expedition auf. Voran ging der Unterhäuptling mit 4 Kriegern, die mit großer, scharfgeschliffenen Macheten den verfilzten Pfad freihieben und vor Baumschlangen, Skorpionen und Wildkatzen warnten. Dann folgten Dr. Perthes, Dr. Cartogeno, der Dolmetscher mit den fünf Trägern, während die anderen Taràpas, mit den Lasten auf dem Rücken, in langer Reihe die
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