Wir sind nur Menschen
ihres Schmerzes; er ahnte, was sie so tief bewegte. Väterlich gütig faßte er sie unter und brachte sie mit dem Fahrstuhl nach oben, wo eine junge freundliche Schwester sie empfing und eine Hebamme auf sie wartete, die robust aussah, aber etwas ungemein Mutgebendes ausstrahlte.
In der Nacht vom 5. zum 6. April wurde Angela ein Sohn geboren. Blaß, erschöpft und schmal lag sie in den Kissen und hielt das kleine, schwarzhaarige Menschlein in ihren Armen. Ihre Augen leuchteten vor Glück. Ein Junge!
Dann wandte sie sich ab und weinte von neuem. Aber es waren keine bitteren Tränen mehr, es waren Tränen der Erlösung, die aus frohem Herzen kamen, aus der Freude, aus dem Gefühl unaussprechlicher Seligkeit.
Wenige Tage später wurde der Junge in der Krankenhauskapelle auf den Namen Peter getauft. Chefarzt Dr. Börner und Dr. Paul Sacher, der zu diesem Anlaß aus Köln gekommen war, waren die Paten. Er brachte als fürstliches Geschenk Dr. Windows, der als Professor die Lindenburg nicht verlassen konnte, für den kleinen Peter die von der ganzen Klinik gesammelten Mittel zum Besuch der höheren Schule und zum Studium nach eigener Wahl – auf einem langfristigen Sparbuch angelegt – mit.
Nach 12 Tagen konnte Angela entlassen werden. Sie kehrte mit dem Jungen auf die Alp zurück und schrieb an Professor Purr, daß sie in 4-5 Monaten wieder arbeiten wolle und daß sie sehr dankbar wäre, wenn er ihr eine Praxis oder gar einen Posten an seiner Klinik verschaffen könne.
Des Professors Antwort kam postwendend. Selbstverständlich, lautete sie, kommen Sie! Jederzeit stehen Ihnen bei uns alle Türen offen …
Genau sieben Wochen nach der Geburt des kleinen Peter geschah etwas, das den ganzen Lauf der Dinge verändern sollte.
Es kam so plötzlich, so ungeheuer schicksalhaft, daß es keinen anderen Ausweg gab als den, mitten hineinzuspringen und einen Teil der Geschehnisse mitzutragen.
In Köln bei Dr. Paul Sacher ging ein Brief aus Kolumbien ein. Der Arzt machte beinahe einen Luftsprung, als er den Absender las. Mit dem ungeöffneten Umschlag rannte er durch die Gänge der Chirurgischen Abteilung, riß beinahe zwei Assistenten um, stürmte in das Zimmer Professor Windows und schwenkte laut rufend den Brief in der erhobenen Hand. »Ein Brief aus Kolumbien!«
Professor Window schnellte aus seinem Sessel hoch. »Von Peter? Mensch, Paul, was schreibt er denn?« Er streckte beide Hände aus. »Gib doch her!«
»Noch gar nicht aufgemacht«, keuchte Dr. Sacher. »Und er ist auch nicht von Peter, sondern von Dr. Cartogeno. Begreifst du denn nicht, wenn Cartogeno lebt, ist die Expedition doch nicht vernichtet worden. Dann haben wir doch jetzt Gewißheit!«
»Aufmachen!« rief der Professor. »Quatsch doch nicht so viel, mach endlich den Umschlag auf!«
Sie schlitzten ihn mit fliegenden Händen auf, beugten sich beide über das engbeschriebene Papier, und je weiter sie lasen, desto stiller wurden sie. Mit großen Augen sahen sie sich am Ende des Briefes an und blickten dann wie beschämt zu Boden. Dr. Cartogeno schrieb sehr ausführlich von dem Abenteuer mit Sapolàna. Der letzte Satz aber war wie ein Schrei in höchster Not: »Helft uns, helft Dr. Perthes … er liegt im Sterben …«
»Vergiftet«, sagte Professor Window leise.
»Und durch eine Spinne!« Dr. Sacher fuhr sich verzweifelt durch die Haare. »Und sie haben kein Gegengift mehr.« Er raffte sich auf und versuchte zu lächeln. »Aber er lebt wenigstens, sie haben ihn nicht erschlagen. Er ist wieder aufgetaucht aus dem Dschungel. Wir haben recht gehabt, Professor, warten – warten! Ich konnte einfach nicht daran glauben, daß Peter nicht wiederkäme.«
»Vielleicht kann er es nun wirklich nicht mehr.« Window bedeckte die Augen mit den Händen. »Einmal aus der grünen Hölle gerettet und nun – vergiftet! Das ist furchtbar …«
Paul Sacher stand schon am Telefon und meldete ein Gespräch mit dem Tropeninstitut in Hamburg an. Da es ein Blitzgespräch war, kam die Verbindung sofort zustande. Sacher berichtete, was Dr. Cartogeno schrieb, machte sich Notizen und legte dann auf. »Aussichtslos!« sagte er dumpf. »Man hat nur ein Mittel, aber das hilft nur bei sofortiger Injektion nach dem giftigen Biß – und wenn es ein Biß der berüchtigten ›Schwarzen Witwe‹ ist, gibt es keine Rettung.« Er drehte sich zum Fenster und trommelte nervös gegen die Scheiben. »Der Brief kam per Luftpost, er war fünf Tage unterwegs.« Paul Sacher stockte und sagte dann
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