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Wir sind nur Menschen

Wir sind nur Menschen

Titel: Wir sind nur Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Lage. Das linke Bein war oberhalb des Knies verletzt, hier mußte es ein Giftbolzen getroffen haben. Jetzt war das Bein bis zur Hüfte unnatürlich angeschwollen, rot, brandig, aufgedunsen. Das Fleisch sah glasig aus, leblos und starr. Sapolàna mußte starke Schmerzen haben – aber er schwieg, auch als der Arzt das Bein leicht abtastete und ein wenig anhob. Nur in den Mundwinkeln konnte man sehen, wie Sapolàna ein Schreien verbiß. Stumm lag er auf seinen Fellen, während der Medizinmann weiter schrill schreiend vor dem Lager tanzte.
    Perthes stand auf und wandte sich zu Dr. Cartogeno um. »Sekundäre Blutvergiftung«, diagnostizierte er. »In Europa würde man das Bein in diesem Zustand sofort amputieren. Wenn ich das hier machte, wäre es mein Todesurteil.«
    »Lassen Sie ihn verrecken«, meinte Cartogeno hart. Er hatte auch die Masse der Schrumpfköpfe gesehen und beherrschte sich nur mühsam, den Abzugshahn nicht durchzudrücken.
    »Wir sind Ärzte, lieber Kollege«, sagte Perthes, wandte sich ab und ging dem Ausgang zu. »Bevor ich behandle, muß ich wissen, um welches Gift es sich handelt. Holen Sie bitte vom Boot das Mikroskop, den Gegengiftkasten und mein chirurgisches Besteck.«
    »Ich soll Sie hier allein lassen?« fragte Cartogeno zweifelnd.
    »Machen Sie nur!« Perthes winkte ab. »Die Kerle sind froh, daß wir hier sind. Uns geschieht nichts, solange der Häuptling lebt.«
    Er trat wieder in die Hütte und sah jetzt den Zauberer vor dem Lager sitzen. Seine kleinen, blitzenden Augen sahen ihm entgegen. Plötzlich hob er wie beschwörend die Arme und strich mit ihnen über das geschwollene Bein. Aus Sapolàras Mund quoll dichter Tabaksqualm. Nun sprach er schnelle Worte, die sich fast überschlugen, und dann warf er sich mit einem wilden Ruck über den Kranken, preßte den Mund auf die Wunde, biß in das entzündete Fleisch und trank wie ein Vampir das hervorquellende schwarze, schlechte Blut. Der Kranke bäumte sich auf und stöhnte. Dann fiel er zurück auf das Jaguarfell und schloß die Augen. Er blieb stumm, eisern, leblos fast, während der Zauberer das Blut aussaugte.
    Nicht dumm, dachte Perthes und wartete auf Cartogeno. Das macht man bei uns auch als Erste Hilfe. Bei Kreuzotterbissen Biß erweitern und Blut aussaugen … Aber in diesem fortgeschrittenen Zustand ist das sinnlos. Dieser Sapolàna ist ein Wunder, dachte Perthes weiter, mit dem Gift im Körper wäre ein Europäer innerhalb einer Stunde gestorben. Und er lebt noch … nach über fünf Wochen! Wie doch die Natur alle Schulweisheit mit einem einzigen Beweis über den Haufen wirft …
    Dr. Cartogeno brachte keuchend zwei Kisten. »Die Bande will mir nicht helfen«, rief er, »sie betreten den Platz nicht, aus Angst vor den Dämonen. Draußen, auf dem Fluß und dem See, stehen über fünftausend Taràpas. Aber nicht einer wagt einen Schritt auf den Strand.« Er warf die Kisten mitten in den Raum und beobachtete den noch immer saugenden Sapolàra.
    »Fixer Junge«, meinte er anerkennend. »Weiß sich zu helfen. Aber nun los!«
    Sie traten an das Lager und machten durch Zeichen klar, daß Sapolàra sich zurückziehen müsse. Gehorsam, aber mißtrauisch stand der Zauberer auf und stellte sich hinter den Kopf des Häuptlings. Scharf beobachtete er alle Handgriffe der beiden weißen Ärzte.
    »Er will von uns lernen«, meinte Dr. Cartogeno schmunzelnd. »Nicht nur ein fixer, auch ein gerissener Bursche!«
    Sie gaben Sapolàna eine Tetanusspritze und danach eine Narkose mit Evipan. Dann setzte Dr. Perthes das Skalpell an und trennte mit schnellen Schnitten die Gewebe und Muskeln durch. Dr. Cartogeno klammerte die Adern ab und arbeitete mit den Tupfern. Gleich oberhalb der Kniescheibe war der Bolzen eingedrungen. Er stak noch in den Muskeln – ein kleiner, schmaler, messerscharfer Knochensplitter, sorgsam zugefeilt und mit einem Schwerpunkt versehen, der ein richtiges Fliegen aus dem Blasrohr gewährleistete. Er stak noch mitten in dem brandigen Fleisch. Mit der Pinzette holte der Operateur den Splitter heraus und legte ihn auf eine Schüssel. Er brannte mit Höllenstein den ganzen Umkreis des Herdes aus, tamponierte die Wunde und begann dann, in die Blutbahn des vergifteten Beines ein Serum zu spritzen.
    Dr. Cartogeno sah mit großen Augen zu. Zum erstenmal sah er seinen Kollegen Dr. Perthes praktizieren. Eine große Achtung vor dem jungen Arzt kam in ihm auf. Mit dem gehe ich durch die Hölle, dachte er, und etwas wie Stolz und Glück, dies

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