Wir sind nur Menschen
alles miterleben zu dürfen, erfaßte ihn. Mit bebenden Händen reichte er die Instrumente an.
»Was injizieren Sie da?« fragte er flüsternd.
»Ein neues, von mir entwickeltes Serum. Es steht noch in der Erprobung. Ich habe in Köln damit Tierversuche gemacht, die alle zufriedenstellend verliefen. Dies aber ist mein erster Menschenversuch.«
»Mit einem unfertigen Präparat?«
»Ja, Sie haben recht, in einer zivilisierten Klinik wäre das unmöglich, strafbar, überhaupt undenkbar. Hier, im Urwald, kann es die letzte Rettung sein. Hier dürfen wir endlich einmal etwas wagen, was in der Alten Welt die Bürokratie verbietet.« Peter Perthes setzte die Spritze an, stach in die Hauptblutbahn und drückte etwa sechs Kubikzentimeter der wasserhellen Flüssigkeit in die Ader. Er beugte sich über Sapolàna und fühlte dessen Puls.
»Er muß, wenn das Serum die gleiche Wirkung wie bei Tieren hat, innerhalb von zwölf Stunden fieberfrei sein. Dann muß das Gift seine zerstörende Wirkung verloren haben.« Er schüttelte von neuem den Kopf. »Es ist mir unverständlich, wie der Kerl jetzt noch leben kann.«
Der Medizinmann, der sah, daß die Ärzte vorläufig fertig mit ihrer Arbeit waren, trat aus der Ecke hervor. Sein altes, mit Runzeln wie eine Schuppenhaut überzogenes Gesicht schien zu lachen. Er sprach die Ärzte mit seiner hellen Stimme an und zeigte auf den Häuptling, der noch in tiefer Narkose lag. Er machte das Zeichen des Sterbens.
Dr. Cartogeno schüttelte den Kopf, dann gingen sie aus der Hütte und wollten zu ihrem Boot. Da aber stürzte ihnen der Medizinmann nach, rannte an den Strand und fiel an einer großen Baumtrommel auf die Knie. Mit beiden Händen, den Kopf schreiend gen Himmel gerichtet, bearbeitete er die Trommelfläche. Dumpf hallend klangen die Töne über die Bucht, den Fluß und den See. Die Tukanfedern in seinen Ohren wippten auf und nieder. Er riß sich den Lendenschurz aus trockenen Blättern ab und sprang nackt, in seiner wilden Bemalung, um die Trommel herum, mit den Händen den Takt schlagend. Schaurig klang es durch die Stille des Waldes, doppelt schrecklich durch die Wildheit, mit der der Zauberer in seinem Fetischgewand um den dröhnenden Baum sprang.
Jetzt schoß ein Kanu durch die Flußenge auf den Landeplatz zu. Umari stand darin, neben ihm der indianische Dolmetscher. Er grinste über das ganze Gesicht – in den Haaren trug er eine Orchideenkette, auf der Brust eine wertvolle Stickerei gegen den Dämon der Feindschaft. Vom See herüber erklang ein vielhundertfacher Jubelschrei. Lange Kriegsboote mit singenden Taràpas glitten Umaris Boot nach, in die Bucht hinein.
Gebannt von diesem Schauspiel, standen die beiden Ärzte am Ufer.
»Wir haben gesiegt«, sagte Dr. Perthes schlicht. In seiner Stimme klang Ergriffenheit mit.
»Ja, diese Schlacht haben wir gewonnen«, bestätigte Dr. Cartogeno. »Was aber wird, wenn Ihr Serum nicht wirkt? Wenn Sapolàna stirbt?«
Perthes wandte sich um. Entschlossenheit machte sein Gesicht kantig. »Er wird nicht sterben!« sagte er leise. »Kollege Cartogeno, er darf nicht sterben …«
Was Dr. Perthes kaum zu hoffen gewagt hatte, trat mit überraschender Plötzlichkeit ein: Sapolàna war bereits nach sieben Stunden fieberfrei! Perthes kniete an seinem Lager und fühlte den Puls, maß die Temperatur und wollte es nicht glauben. Bei sechs Kubikzentimeter Serum und akuter Pfeilvergiftung in dieser Zeit fieberfrei? Das übertraf alle Erwartungen, das eröffnete völlig neue, völlig andere Perspektiven in der Serumverwendung! Zwar war das Bein noch unförmig geschwollen, glasig und entzündet – aber die Macht des Giftes, das sah man deutlich, war gebrochen. Die akute Lebensgefahr bestand jetzt nur noch in der brandigen Wunde.
Jede halbe Stunde erneuerte Dr. Perthes oder Dr. Cartogeno den Tampon. Sie desinfizierten die ganze Hütte, wuschen den Häuptling mit antiseptischem Wasser und sorgten für eine gute Durchlüftung der Hütte. Am dritten Tag schüttelte Dr. Perthes den Kopf, nachdem er die Wunde untersucht hatte.
»Der Höllenstein war zu schwach«, sagte er. »Die Wunde bleibt brandig und greift sogar in die tieferen Gewebe über. Da wir keine klinischen Mittel hier haben, nützt nur eins: wie im Mittelalter ausbrennen!«
Dr. Cartogeno blickte zu Sapolàna hinüber, der die Besinnung noch immer nicht wiedererlangt hatte. Der Zauberer Sapolàra behandelte ihn mit Auflegen von feuchten, unbekannten Kräutern, Fußwaschungen mit einem
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