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Wir sind nur Menschen

Wir sind nur Menschen

Titel: Wir sind nur Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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griff sofort nach seiner Pistole. »Unsere Boote?« brüllte er und sprang auf. »Sind unsere Boote noch da?«
    »Alles ist da! Nichts fehlt! Nur die Taràpas haben in der Nacht das Lager geräumt. Sapolàna ist fort. Ohne Abschied.«
    »Traurig.« Dr. Cartogeno lachte schallend. »Und an wen sollen wir jetzt die Rechnung schicken? Lieber Herr Kollege – auch im Urwald gibt es Zechprellerei, wie man sieht!«
    Sie traten hinaus ans Ufer und schauten sich unschlüssig um. Nichts, außer den Resten des Lagerfeuers, verriet, daß hier einmal diese Unmenge von Wilden gehaust hatte. Der Fluß war verwaist, der See lag leer, wie eine Scheibe Silber in der Frühsonne. Aber nein – da glitt doch ein Kanu durch die Flußenge! Perthes schirmte die Augen gegen die Sonne ab und schüttelte erstaunt den Kopf. »Sieh da, unser Dolmetscher!« sagte er verwundert. »Verstehen Sie das, Dr. Cartogeno?«
    Das Kanu kam näher. Hinter dem Dolmetscher sahen die Ärzte jetzt eine große Baumtrommel liegen, verziert mit groben bunten Zeichen, die wie Runen aussahen. Knirschend fuhr das Boot in den Sand. Der Indianer stieg aus. »Herr!« sagte er. »Der Große Häuptling läßt Euch grüßen. Er läßt Euch sagen: ›Nie hat ein Fremdling Sapolàna in die Augen gesehen, ohne nachher zu sterben. Ihr seid die einzigen, die ihn sehen und sogar berühren durften. Ihr habt sein Leben gerettet; was auch immer Ihr nun tun werdet, Sapolàna wird Euch helfen. Alle Wälder, Flüsse und Sümpfe, die ihm gehorchen, könnt Ihr frei betreten. Alle Völker werden Euch als Freunde empfangen. Krieger der Taràpas werden Eure Lasten tragen, sie werden Euch durch unbekannte Gebiete führen. Wenn diese Trommel hier spricht, werden sie kommen, Euch zu helfen. Das soll der Dank Sapolànas sein.‹«
    Dr. Cartogeno sah Dr. Perthes groß an. »Sie hatten recht: es ist ein Sieg«, sagte er laut. »Sie haben heute alles gewonnen!« Still blickte Peter Perthes über den Fluß. Ein Arzt an der Schwelle des Ruhmes … ein Herr über die grüne Hölle.

X
    Der Schnee im Illertal schmolz langsam unter der wärmenden Frühlingssonne. Aus dem Waldboden lugten die ersten Schneeglöckchen, in den Sennhütten regte sich neues Leben: die Melker und Käser fegten den Winterschmutz aus den Hütten und bereiteten alles für den baldigen Auftrieb des Viehs vor. Plötzlich, wie sie gekommen waren, verschwanden die Wintersportler aus Schöllang – eine kurze Zeit gehörte das Dorf nur den Einheimischen, bis der neue Schwung der Sommergäste die Dorfgassen wieder beleben würde. Die Gebirgsbäche wurden reißend, sie schossen förmlich ins Tal, große Steine und Felsbrocken mit sich führend. Lawinen donnerten in die Schluchten; auch der Gipfelschnee lockerte sich und brachte riesige Eis- und Schneemassen in gleitende Bewegung. Tag und Nacht war die Bergwacht in Alarmbereitschaft, ganze Täler wurden von Lawinen abgeschnitten. In Schöllang begann man, die Häuser zu tünchen. Die Viehtränken wurden ausgebessert, beim Dorfschmied stauten sich die Pferde zum Beschlagen und die Pflugschare zum Nachschleifen. Auch auf der Alp bereiteten sich die Menschen vor, denn neben dem Frühling war nun auch die Zeit gekommen, in der Angela Bender nach Oberstdorf in die Klinik mußte. An einem warmen Vorfrühlingsabend brachte sie der Bauer mit dem Pferdekarren ins Dorf. Dort wartete ein Krankenwagen auf sie, und dann fuhr sie in schneller Fahrt das herrliche Illertal hinauf nach Oberstdorf. In der Klinik erwartete sie schon der Chefarzt und geleitete sie sofort in ihr Zimmer. Erst als sie in dem weißen Bett lag, kam ihr zum Bewußtsein, daß sie ihr Kind in völliger Einsamkeit zur Welt bringen würde. Nur fremde Menschen würden um sie sein. Ihre Eltern waren seit langem tot. Peter war irgendwo im kolumbianischen Urwald. Geschwister besaß sie nicht, ein Onkel, mit dem sie nur in loser Verbindung stand, lebte in Augsburg. Sie würde die ganzen Tage allein in diesem Bett liegen, auf den Gipfel des Nebelhorns blicken und dann auch allein das kleine lebende Bündel in den Armen halten, das Kind, das von dieser tödlichen Leere um sie noch keine Ahnung hatte …
    Als ihr das alles klargeworden war, weinte sie seit Monaten zum erstenmal. Sie wollte es gar nicht … plötzlich fühlte sie, wie die Tränen über ihre Wangen rollten. Sie wunderte sich, daß sie weinte, aber es hörte nicht auf.
    So traf sie der Chefarzt an, der sie hinauf in den Kreißsaal holen wollte. Er fragte nicht nach dem Grund

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