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Wir sind nur Menschen

Wir sind nur Menschen

Titel: Wir sind nur Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Weißen war ihnen verhaßt, sie scheuten die kleinste Siedlung und lebten nur im Halbdunkel der domhohen Blätterdächer. Mit zwei Booten und den alten Begleitern landete Dr. Cartogeno endlich in Zapuare.
    Man bestaunte die Ankommenden wie Gespenster. Man wollte nicht glauben, daß sie noch lebten. Sie waren amtlich tot – ihre Sachen waren beschlagnahmt und nach Villavicencio geschafft worden. Das Haus, das sie bewohnt hatten, stand leer. Kein Gepäck, kein Laboratorium mehr – vor allem kein Gegengift.
    Dr. Cartogeno war der Verzweiflung nahe. Er brüllte den Dorfvorsteher an, schickte einen Meldereiter nach Villavicencio und pflegte Peter mit den wenigen Medikamenten, die in der Hausapotheke der ›Bar‹ vorhanden waren; sie war vor allem auf Schußverletzungen eingerichtet. Peter hatte das Bewußtsein für kurze Zeit auf der schnellen Fahrt den Rio Guaviare hinab wiedererlangt. Er sah Dr. Cartogeno groß und fragend an und bewegte mühsam die noch immer aufgesprungenen Lippen.
    »Geht es zu Ende?« fragte er leise.
    Der Kolumbianer schüttelte den Kopf. »Unsinn!« sagte er bewußt rauh. »So ein kleiner Spinnenbiß! Ich habe das Fleisch weggeschnitten und Ihnen zehn Kubik Ihres Gegengiftes injiziert.«
    »Das war gut, Fernando.« Es war das erstemal, daß Perthes seinen Begleiter mit dem Vornamen anredete. Dr. Cartogeno begriff die Bedeutung dieses Wortes und drückte Peter stumm die Hand.
    »Mehr konnte ich nicht tun«, sagte er nach einer Weile. »Wir haben kein Serum mehr.«
    »In Zapuare sind noch sechzig Kubik«, sagte Peter mühsam. »Wir müssen nach Zapuare zurück …«
    Dann fiel er von neuem in Bewußtlosigkeit. Fünf Tage wartete Dr. Cartogeno mit seinem Patienten auf das Serum. Als es endlich eintraf, war es begleitet vom Distriktsgouverneur, einem Regierungsvertreter, einem Zug Polizei und drei Wissenschaftlern. Sie wollten Peter Perthes verhören, Protokolle aufnehmen, der Welt eine neue Sensation verschaffen: Dr. Perthes gerettet! Der grünen Hölle entronnen! Ein Weißer zum erstenmal ein Freund der grausamen Taràpas!
    Dr. Cartogeno ließ keinen der Herren zu Perthes hinein. Er schloß die Türen des Hauses ab, nahm das Serum und dosierte es nach Peters Angaben, der blaß und schwach auf seinem Feldbett lag. In Abständen von fünf Stunden injizierte er das Serum.
    Das Leben Peters wurde gerettet. Der Kopf arbeitete wieder, die von der Lähmung angegriffenen Lungenflügel dehnten sich wieder, die Hautflecken verschwanden. Am fünften Tag, drei Wochen nach dem Biß der ›Schwarzen Witwe‹, rann neue Lebenskraft durch den gemarterten Körper. Der Wille, die ersten Gehversuche zu machen, wuchs immer mehr.
    Als an diesem Abend Dr. Cartogeno das Haus betrat und Peter berichten wollte, daß der größte Teil seines Labors auf dem Weg nach Zapuare sei, daß alle Zeitungen voll wären von seinem einmaligen Abenteuer, daß die großen Illustrierten Reporter per Flugzeug geschickt hatten, die draußen warteten, um den ›Helden der grünen Hölle‹, wie ›Life‹ Dr. Perthes pathetisch tituliert hatte, zu fotografieren und zu interviewen, fand er Peter auf dem Feldbett sitzend vor. Zuerst merkte er nichts und sprudelte einen Teil der Nachrichten hervor, doch dann fiel ihm das Schweigen auf, und er stockte mitten in seinem Bericht.
    Peter Perthes saß auf dem Bett. Seine Beine hingen auf die Erde, als gehörten sie nicht zu seinem Körper. In seinen Augen lag eine Dumpfheit, die Dr. Cartogeno erschreckte. »Was hast du, Peter?« fragte er stockend. »Kommt ein Rückfall?«
    Perthes spielte mit einer Ampulle und hielt sie dann wie scherzhaft in die Luft. Mit eisigem Erschrecken sah Cartogeno, daß es eine der Ampullen mit Blausäure war, die sie zu Experimenten mitführten.
    »Würdest du mir diese Spritze geben?« fragte Peter sehr betont. In seiner Stimme lag eine wilde Entschlossenheit.
    »Du bist verrückt!« meinte Dr. Cartogeno laut.
    »Auch nicht, wenn ich dich darum bitte?« beharrte Dr. Perthes.
    »Peter!« Der Kolumbianer lief auf seinen Freund zu und schlug ihm die Ampulle aus der Hand. »Bist du irrsinnig geworden?«
    »Du hast einen großen Fehler begangen!« brüllte Peter auf einmal los. Er packte den Kolumbianer mit beiden Händen an der Schulter und riß ihn zu sich herüber. »Du!« schrie er, ihn wild schüttelnd. »Warum hast du mich nicht sterben lassen? Warum hast du mich gerettet? Warum hast du mir dieses entsetzliche Leben wiedergegeben?« Er stieß den Freund von sich.

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