Wir sind verbannt (German Edition)
Thanksgiving. Ich hatte den brillanten Plan, mit dir zu sprechen, wenn du bei dieser Gelegenheit nach Hause kommst. Und jetzt weiß ich nicht einmal, ob ich dich überhaupt jemals wiedersehe.
Wir könnten alle sterben. Wenn keiner ein Mittel dagegen findet, wird die Regierung uns hier auf der Insel festhalten, bis jeder Einzelne von uns sich mit dem Virus angesteckt hat. Bis wir alle auf der Straße herumschreien, so wie Rachels Dad und Mrs Campbell.
»Wie können die das bloß machen?«, rief ich. »Alles wegen so ein paar Leuten, die daran gestorben sind? Und was ist mit dem Rest von uns?«
Dad sah noch müder aus als eine Minute zuvor. »Wir haben in den letzten vierundzwanzig Stunden noch zwölf weitere Patienten verloren«, sagte er und zögerte einen Moment, bevor er weitersprach. »Einer von ihnen war Rachel.«
Einen Moment lang saß ich nur wie versteinert da. Das ergab einfach keinen Sinn. Rachel tot? Rachel, die immer supergesund war, bevor das alles passierte. Ich kann’s immer noch nicht glauben. Das kann doch einfach nicht sein!
Und plötzlich wurde ich wütend. Auf die Regierung, weil sie die Quarantäne verhängt hatte. Auf Dad, weil er nicht rechtzeitig ein Heilmittel gefunden hatte. Auf Mom, weil sie uns dazu gebracht hatte, wieder hierherzuziehen. Einfach auf alle. Ich stand auf und verließ den Raum, weil ich genau wusste, dass ich entweder in Tränen ausgebrochen wäre oder irgendwas durch die Gegend geworfen hätte, wenn ich noch eine Sekunde länger dageblieben wäre.
Ich schaffte es gerade noch bis in mein Zimmer, bevor ich losheulte.
Wie kann Rachel denn tot sein? Vor ein paar Wochen hat sie doch noch gelacht und getanzt. Und jetzt gibt es dieses Mädchen auf einmal nicht mehr?
Wir hätten fortgehen sollen. Dads vernünftiges Gerede ist mir egal. Wir hätten es alle so wie Mackenzies Familie machen und hier verschwinden sollen, solange es noch ging. Denn jetzt ist es zu spät.
23. September
Tut mir leid, dass ich gestern Abend ausgeflippt bin, Leo. Ich glaube nicht wirklich, dass wir alle sterben werden. Natürlich können wir es schaffen. Es ist ja nicht so, als wären nicht schon früher neue Krankheiten entstanden. Schließlich sind drei verschiedene Expertengremien damit beschäftigt, uns zu helfen – eines davon wird schon ein Heilmittel finden. Und ich darf nicht vergessen, dass die Quarantäne ja aus gutem Grund verhängt wurde: nämlich um dafür zu sorgen, dass das Virus nicht etwa bis zu dir nach New York gelangt oder zu Oma und Opa in Ottawa oder zu sonst irgendjemandem außerhalb der Insel.
Als ich heute Morgen aufgewacht bin, hätte ich am liebsten die Decke über den Kopf gezogen und einfach gewartet, bis es wieder sicher ist, darunter hervorzukommen. Doch als ich anfing, in dieses Tagebuch zu schreiben, wollte ich keine mehr von denen sein, die sich verstecken. Und das will ich immer noch nicht. Klar, es gibt jetzt eine Menge mehr, wovor man sich fürchten muss. Aber wenn ich etwas unternehme, um unsere Situation zu verbessern, fühlt es sich vielleicht nicht mehr ganz so hoffnungslos an.
Also stand ich rechtzeitig auf, um Dad abzufangen, bevor er das Haus verließ. »Ich will im Krankenhaus helfen«, verkündete ich. »Da gibt’s doch bestimmt etwas Nützliches zu tun. Ich könnte Besorgungen machen, oder du zeigst mir, wie man mit einigen von den Instrumenten im Labor umgeht.«
Dad schüttelte den Kopf. »Ich will dich nicht in der Nähe des Krankenhauses oder des Forschungszentrums haben«, antwortete er. »Das sind momentan die gefährlichsten Orte auf der ganzen Insel.«
Irgendwie war mir klar gewesen, dass er das sagen würde. »Und wie wär’s mit irgendwas außerhalb des Krankenhauses?«, fragte ich. »Dort und im Forschungszentrum kümmern sich alle um das Virus, aber sollte nicht jemand die anderen Leute über die Quarantäne informieren? Nachrichten in die Briefkästen stecken oder so? Das könnte ich doch in die Hand nehmen.«
»Kae …«, begann er und hielt dann einem Moment inne. »Es ist geplant, alle Haushalte telefonisch zu informieren, aber ich bin mir nicht einmal sicher, ob wir überhaupt schon damit angefangen haben. Vielleicht könntest du das übernehmen. Lass’ mich aber zuerst mit den Beauftragten vom Gesundheitsministerium reden – sie haben eine offizielle Erklärung formuliert, die dabei verwendet werden soll.«
Mit anderen Worten: Ich musste warten, bis er heute Abend nach Hause kam. Also suchte ich mir eine andere
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