Wir sind verbannt (German Edition)
rausgefunden – hätte das Internet nicht den Geist aufgegeben, wäre mein Plan schon viel früher fertig gewesen. Dad wird sicher nicht mitkommen, aber Mom können wir bestimmt überzeugen, wenn sie denkt, dass sie dadurch uns und Meredith schützen kann. Wir sind immer noch gesund, also dürfte es … Kae, was ist denn los?«
Ich wischte mir über die Augen, bevor noch mehr Tränen liefen. »Mom glaubt, dass sie krank ist, Drew«, antwortete ich. »Deswegen war ich weg. Ich bin zum Krankenhaus gefahren, um Dad zu suchen.«
»Krank?«, fragte er. »Als ich mit ihr gesprochen habe, hat sie sich ganz normal angehört – sie wollte sich bloß ein bisschen hinlegen.«
»Ich weiß nicht«, antwortete ich. »Ich hab genau gemerkt, dass sie sich Sorgen macht. Sie hat bestimmt nicht mal die Tür geöffnet, als sie mit dir gesprochen hat, stimmt’s? Dad wird sicher einen Bluttest machen, um es mit Sicherheit sagen zu können. Wenn er dann mal irgendwann kommt.«
Drew runzelte die Stirn. »Sie kann doch eigentlich gar nicht krank sein«, sagte er und klang dabei, als würde er mehr mit sich selbst reden als mit mir. »Sie geht ja kaum vor die Tür. Wie soll sie sich denn das Virus eingefangen haben? Bestimmt ist sie bloß mit den Nerven runter, genau wie wir alle. Dad wird garantiert feststellen, dass sie gesund ist. Dann unterhalten wir uns weiter darüber, wie wir hier wegkommen, einverstanden?«
»Einverstanden«, antwortete ich.
Eigentlich sollte ich froh sein, dass er dasselbe denkt wie ich. Dass Mom gar nicht krank ist, sondern bloß ziemlich fertig. Aber normalerweise gehört sie nicht zu den Menschen, die sich von ihren Ängsten beherrschen lassen. Und wir kennen ja auch immer noch nicht alle Übertragungswege des Virus. Wir sind schließlich alle außer Haus gewesen. Jeder Einzelne von uns könnte es mit heimgebracht haben.
13. Oktober (später)
Vor ein paar Minuten bin ich auf dem Weg zum Bad an Moms Zimmer vorbeigekommen und habe sie husten gehört.
Das muss immer noch nichts bedeuten. Es gibt eine Menge Gründe dafür, warum Menschen husten. Es könnte sogar sein, dass sie sich vor lauter Angst einbildet, ein Kratzen im Hals zu spüren. So was passiert. Typisch psychosomatisches Symptom.
Ich versuchte, mit ihr zu reden, aber sie erklärte mir, sie ruhe sich bloß aus und ich solle mir keine Sorgen machen. Also sagte ich ihr, ich würde die Tabletten, die Nell mir gegeben hatte, vor ihr Zimmer legen und sie sollte versuchen, jeweils eine davon zu nehmen. Als ich anschließend die Treppe hinunterging, machte sie die Tür auf und holte sie sich.
Das Abendessen haben wir bis jetzt nicht fertiggekocht. Der Truthahn liegt nach wie vor halb gefüllt auf der Küchentheke. Inzwischen ist es halb neun, und Dad ist immer noch nicht zu Hause. Wo bleibt er bloß, verdammt nochmal? Die Leute im Krankenhaus haben doch auch noch andere Ärzte. Hier geht’s schließlich um Mom. Sein Platz ist hier.
Happy Thanksgiving.
15. Oktober
Leo,
manchmal beneide ich dich, weil du es geschafft hast, hier rauzukommen, bevor das Ganze angefangen hat. Aber wahrscheinlich ist es fast genauso schrecklich für dich, da draußen festzusitzen und nicht zu wissen, was mit deinen Eltern, deiner Freundin oder all deinen Freunden ist.
Ich frage mich, ob du dich auch ein bisschen um mich sorgst?
Ich hoffe, es geht dir wenigstens gut in New York. Ich weiß aus dem Fernsehen, dass es ein paar Todesfälle außerhalb der Insel gegeben hat, die angeblich mit dem Virus in Zusammenhang stehen, und jetzt bringen sie in jeder Nachrichtensendung einen Beitrag über Vorsichtsmaßnahmen, aber bisher hat die Regierung nicht versucht, Halifax oder Ottawa unter Quarantäne zu stellen. Also kann die Lage dort nicht so dramatisch sein – nicht so dramatisch wie hier jedenfalls.
Es gibt auch ein paar gute Neuigkeiten. Heute Morgen ist ein weiterer Versorgungshubschrauber angekommen. Und Dad kam an Thanksgiving so spät hach Hause, weil sein Forscherteam endlich rausgefunden hat, wie man einen potentiell nutzbaren Impfstoff entwickelt. Ein paar der Leute von der WHO haben ihn mit von der Insel genommen. Zur Erprobung und, falls er wirkt, für eine anschließende Massenproduktion. Was wirklich großartig ist, abgesehen davon, dass ein Impfstoff niemandem mehr helfen wird, der bereits erkrankt ist. So wie Mom.
Gestern hat Dad eine Blutprobe zur Bestätigung mit ins Krankenhaus genommen. Mom ist immer noch nicht wieder aus ihrem Zimmer gekommen.
Weitere Kostenlose Bücher