Wir sind verbannt (German Edition)
Ich habe sie nicht mehr gesehen, seit wir gemeinsam das Thanksgiving-Essen vorbereitet haben. Aber ich kann sie durch die Wand husten und niesen hören. Dad hat ihr ein wenig von der Mixtur gegeben, die sie aus Tessas Pflanzen hergestellt haben, und er sagt, ihre Symptome würden etwas abklingen.
Ich habe mit ihr durch die geschlossene Tür gesprochen. »Pass du nur auf Meredith und dich auf«, sagte sie, »und ich tue, was ich kann, um wieder gesund zu werden. Wir stehen das schon durch.« Wenn sie sich jedoch längere Zeit unterhält, fängt sie immer so heftig an zu husten, dass sie nicht mehr sprechen kann, also versuche ich es nicht so oft, wie ich eigentlich gerne würde.
Oh Gott, was wenn ich sie nie mehr in den Arm nehmen kann?
Ich darf so nicht denken. Sonst drehe ich noch durch.
Immerhin habe ich heute auch etwas Nützliches gemacht. Dad erzählte, dass sie aus den zwei Pflanzen von Tessa alles, was möglich war, herausgeholt hätten. Daraufhin rief ich sie an. Sie sagte, die anderen wären auch gekeimt und sähen gut aus. Und heute Nachmittag bin ich dann zu ihr rübergefahren, um die neuen Pflanzen abzuholen.
Als Tessa mir die Tür aufmachte, war ich plötzlich ein bisschen verlegen, weil ich sie zuletzt an dem Tag gesehen hatte, als ich die tote Frau in dem Ferienhaus gefunden hatte. Vielleicht merkte sie es mir an, denn sie sagte: »Ich wollte dich eigentlich anrufen, doch dann dachte ich, wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich wahrscheinlich lieber nicht daran erinnert werden wollen. Aber wenn du noch mal losziehen willst …«
Allein schon der Gedanke, noch einmal in eins dieser Häuser zu gehen, verursachte mir Magenkrämpfe. »Nein«, erwiderte ich. »Ich glaube nicht, dass ich das will.« Doch es war auf seltsame Weise schön zu wissen, dass sie sich Gedanken um mich gemacht hatte. Und ich bekam ein schlechtes Gewissen, weil ich mir vielleicht nicht genug Gedanken um sie gemacht hatte. Ich habe bloß immer das Gefühl, dass sie von niemandem Hilfe haben will.
Wir hatten etwa ein Dutzend Töpfe hinaus zum Wagen getragen, als ein jüngerer Mann, vielleicht so um die zwanzig, die Straße entlang auf uns zugeschlendert kam. »Hübsche junge Damen!«, rief er. »Genau das, wonach ich gesucht habe.«
Dann nieste er, aber selbst wenn er nicht krank gewesen wäre, hätten wir uns beeilt, wieder ins Haus zu kommen und die Tür hinter uns zuzumachen.
»Genau das ist der Grund, wieso ich die meiste Zeit drinnen oder hinten im Garten verbringe«, sagte Tessa.
Dann machte sie Mittagessen für uns beide. Ich protestierte, bis sie erklärte, dass sie mehr Essen habe, als sie alleine aufbrauchen könne, bevor es verdirbt.
»Normalerweise verteile ich das, was im Gewächshaus zu viel ist, an die Nachbarn«, sagte sie. »Am besten gebe ich dir etwas davon mit nach Hause. Der Salat ist kurz davor zu schießen, und die Tomaten platzen schon bald, und ein paar von den Bohnen sind auch schon reif, glaube ich.«
»Ich wusste gar nicht, dass ihr auch Gemüse anbaut«, antwortete ich. Irgendwie waren mir in dem Glashaus nur die üppigen exotischen Pflanzen aufgefallen.
»Ach«, erwiderte sie, »diese protzigen Blumen und das ganze Zeug sind bloß für meine Mom. Sie hat gesagt, wenn ich schon den Großteil des Gartens mit dem Gewächshaus in Beschlag nehme, dann soll ich wenigstens dafür sorgen, dass es hübsch darin aussieht. Ich selbst interessiere mich eher für Nutzpflanzen. Hast du gewusst, dass die riesigen Landwirtschaftsbetriebe die komplette Artenvielfalt reduzieren? Das bedeutet, wenn irgendeine Pflanzenkrankheit auftaucht und eine bestimmte Art von Mais oder Brokkoli oder was auch immer befällt, dann verlieren wir unter Umständen die ganze Sorte.«
Während wir auf dem Weg zum Gewächshaus waren, um etwas aus ihrem eigenen Anbau zu ernten, teilte sie mir noch eine ganze Menge mehr ihrer Ansichten über industrielle Landwirtschaft und genmanipulierte Pflanzen mit. Es war schon ein bisschen sonderbar, sie so enthusiastisch zu sehen. Ein totes Kleinkind bringt sie überhaupt nicht aus der Fassung, aber bei Mais und Brokkoli gerät sie völlig aus dem Häuschen.
»Meine Güte«, bemerkte ich an einer Stelle. »Da hast du dich ja ganz schön eingearbeitet.«
Sie nickte. »Ich möchte mithelfen, den Prozess umzukehren«, antwortete sie. »Ich hab mich mit verschiedenen Züchtungen bestimmter Pflanzensorten beschäftigt. Eines Tages werde ich einen eigenen Landwirtschaftsbetrieb haben,
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