Wir sind verbannt (German Edition)
vielleicht sogar hier auf der Insel, und dann fange ich an, die anderen Bauern mit neuem Saatgut zu versorgen.«
Während sie so sprach, verstand ich plötzlich irgendwie, warum du dich in sie verliebt hast, Leo. Ihr Gewächshaus bedeutet ihr genauso viel wie dir dein Tanzen. Ihr besitzt beide diese Leidenschaft, die die meisten Leute gar nicht verstehen.
Mein größtes Ziel bestand bis jetzt immer nur darin, raus in die Wildnis zu gehen und Polarwölfe und Pumas zu beobachten. Tessa dagegen plant, die ganze Welt zu retten.
Das ist vermutlich auch der Grund dafür, dass sie es schafft, gesund zu bleiben und ganz alleine zu leben, ohne zu wissen, ob sie ihre Eltern jemals wiedersehen wird. Als wir jedoch anschließend im Flur standen, ich mit meinem Armvoll Gemüse, und sie mich aus diesen dunklen blauen Augen anblickte, wirkte sie doch für einen kurzen Moment ein bisschen verloren. Ich musste einfach irgendetwas sagen.
»Weißt du«, fing ich an, »ich bin sicher, meine Eltern hätten nichts dagegen, wenn du bei uns wohnen würdest. Wir haben nicht so irre viel Platz, aber wenigstens …« Wenigstens wärst du nicht die ganze Zeit alleine , wollte ich sagen, aber es schien mir wie eine Beleidigung, ihr zu unterstellen, sie könnte nicht selbst für sich sorgen. Und dann fiel mir plötzlich etwas ein – eins hatte ich wahrhaftig völlig vergessen: Mom.
»Oh«, sagte ich. »Allerdings ist meine Mom krank geworden – sie bleibt die ganze Zeit in ihrem Zimmer, sie würde dich also nicht anhusten oder so – aber wenn du meinst, es wäre sicherer …«
Es überraschte mich, dass sie meinem Redeschwall überhaupt folgen konnte. Ich konnte es selbst kaum. Sie wartete, bis ich kurz ins Stocken geriet, und sagte dann: »Danke Kaelyn, ehrlich. Aber ich möchte lieber hierbleiben. Nicht wegen deiner Mom oder so. Aber ich muss mich um das Gewächshaus kümmern, und ich möchte, dass meine Eltern mich erreichen, wenn die Telefonverbindung wieder funktioniert oder wenn sie endlich die Erlaubnis kriegen rüberzukommen.«
Sie zögerte einen Moment. »Deine Mom«, fragte sie dann, »wird sie wieder gesund werden?«
Diese paar Worte genügten, um mir brennende Tränen in die Augen zu treiben. Ich schloss sie einen Augenblick lang und atmete tief durch. »Ich weiß es nicht«, erwiderte ich.
Sie senkte den Blick, sah anschließend mich an und sagte: »Na ja, ich hoffe, die Pflanzen helfen. Und mit deinem Dad als persönlichem Leibarzt hat sie doch die allerbesten Chancen überhaupt, oder? Und ihr habt es sicher auch frühzeitig erkannt und sie gleich behandelt, so vorsichtig, wie ihr alle seid. Wenn jemand gesund wird, dann bestimmt sie.«
Das war nicht direkt eine Umarmung und auch keine riesige Welle des Mitgefühls, aber das ist auch nicht Tessas Art, stimmt’s? Als ich nach Hause fuhr und ihre Worte mir noch im Kopf klangen, fühlte ich mich ein wenig beruhigter als in der ganzen Zeit, seit Mom sich in ihrem Zimmer eingeschlossen hat. Wenn die oberpragmatische Tessa Hoffnung hat, warum soll ich dann keine haben?
16. Oktober
Es kommt mir vor, als wäre da eine Wand aus Nebel zwischen uns und dem Festland, die immer dichter wird. Den Berichten im Fernsehen kann man nicht trauen. Alles Propaganda, wie Drew gerne sagt. Im Internet gäbe es wenigstens echte Betroffene, die darüber redeten, was ihnen wirklich passiert. Als der Regierungshubschrauber zurückkehrte, hoffte ich, wir würden endlich die Ersatzteile bekommen, um die Fernverbindung und das Internet zu reparieren, aber vermutlich war so viel los gewesen, dass die Nachricht irgendwie untergegangen war und die fehlenden Teile nicht mit den anderen Hilfslieferungen mitkamen.
Als ich Dad danach fragte, sah er mich beinahe erstaunt an, so als hätte er ganz vergessen, dass wir jemals so was wie Internet hatten. Wahrscheinlich weil es im Krankenhaus eine Satellitenschüssel gibt und dort die Verbindung gar nicht abgebrochen ist.
»Ich konnte es einrichten, alle paar Tage mit deinen Großeltern zu sprechen, und es geht ihnen gut«, sagte er. »Häufiger kann ich sie nicht anrufen, weil die Klinik die Leitung für wichtige Nachrichten freihalten muss.«
Was natürlich absolut Sinn macht. Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte ich, ob für das Internet im Krankenhaus wohl die gleichen Restriktionen galten, aber Dad würde mir sowieso nicht erlauben, da einfach so rumzuhängen und im Netz zu surfen.
Er verbrachte den größten Teil seiner Zeit bei Mom im
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