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Wir sind verbannt (German Edition)

Wir sind verbannt (German Edition)

Titel: Wir sind verbannt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Crewe
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heran und fragte: »Wer ist da?« Ich hoffte, es wäre Nell, die etwas für Dad vorbeibrachte, oder Tessa mit weiteren Pflanzen. Oder sonstwer meinetwegen, Hauptsache kein hyperfreundlicher Nachbar mit dem dringenden Bedürfnis zu reden und mich vollzuniesen.
    »Kaelyn?«, antwortete die Stimme auf der anderen Seite. »Hier ist Gav. Wir haben uns vor ein paar Wochen im Park unterhalten, über deinen Dad.«
    Mir fiel sofort wieder der Supermarkt ein. Wie Quentin dieses Schaufenster eingeschlagen und mich und Meredith bedroht hatte. Panik durchfuhr mich, noch bevor ich überhaupt richtig nachdenken konnte. Doch dann wurde mir klar, dass es ja keinen Sinn für Gav ergeben würde, hier aufzukreuzen, um unser Haus auszuplündern, wo er doch wahrscheinlich schon den Warenbestand sämtlicher Geschäfte der Stadt besaß. Und falls er das trotzdem vorhätte, würde er wahrscheinlich nicht vorher klingeln.
    »Was willst du?«, fragte ich.
    »Ich könnte deine Hilfe gebrauchen«, erwiderte er.
    »Ich glaube nicht, dass ich interessiert bin«, ließ ich ihn abblitzen. Erst als ich die Worte aussprach, fiel mir auf, wie wütend ich war. Meine Hände hatten sich zu Fäusten geballt.
    »Wie meinst du das?«, wollte er wissen.
    »Ich meine«, antwortete ich, »dass ich weiß, was du so treibst, und dabei zu helfen ist das Letzte, wozu ich Lust habe. Bloß weil die Regierung eine Lieferung aufgeschoben hat, hast du noch lange nicht das Recht, in irgendwelche Läden einzubrechen und dich einfach an allem, was du haben willst, selbst zu bedienen.«
    Einen Moment Schweigen. Dann sagte er: »Das stimmt so nicht. Keine Ahnung, mit wem du gesprochen hast …«
    »Ich habe mit niemandem gesprochen«, fiel ich ihm ins Wort. »Ich hab’s gesehen. Und dann hat einer deiner Freunde auch noch gedroht, auf mich und meine siebenjährige Cousine loszugehen, weil sie es gewagt hat, etwas zu sagen.«
    »Was?«, fragte er erschrocken. »Hör mal, Kaelyn, das ist nicht … Das hätte niemand tun dürfen. Und alles andere kann ich dir erklären. Darf ich reinkommen, oder kommst du vielleicht zu mir raus?«
    Er war an dem Tag im Supermarkt nicht dabei gewesen. Es hätte also sein können, dass er von nichts wusste. Und ich bekam langsam Angst, Drew und Meredith würden mich durch die Tür rufen hören. Es war so schwer, aus Gav irgendwie schlau zu werden, ohne ihn dabei sehen zu können.
    »Geh rüber zum Fenster«, forderte ich ihn auf.
    Als ich ins Wohnzimmer trat, stand er schon vor der Scheibe. Das Sonnenlicht fiel von hinten darauf, so dass er vermutlich nicht viel mehr als sein eigenes Spiegelbild erkennen konnte. Doch er blieb einfach da auf der Veranda stehen, mit ernster Miene, die Hände in den Taschen seines Kapuzenshirts vergraben.
    Ich hatte ihn irgendwie stattlicher in Erinnerung, aber er ist nur ein paar Zentimeter größer als ich. Vor allem sah er völlig gesund aus: keine rotgeriebene Nase, kein fiebriges Gesicht und keine aufgekratzte Haut. Ich hatte weder Husten noch Niesen durch die Tür gehört, also ging ich davon aus, dass er keine Gefahr darstellte, zumindest was das Virus anbetraf. Er hatte einen Fleck auf der Stirn, der aussah wie Motoröl, und auch in seinen Haaren, die heute noch verstrubbelter waren als beim letzten Mal, verteilten sich ein paar Sprenkel. Nach einer Weile drehte er seine Taschen von innen nach außen, als wollte er sagen: Siehst du, ich hab nichts zu verbergen.
    Ich ging zurück zur Tür, schloss sie auf und lehnte mich hinaus. »Okay«, sagte ich. »Du kannst reinkommen. Ein paar Minuten.«
    Er benahm sich ausgesprochen höflich, zog die Schuhe auf dem Fußabtreter aus und blickte sich im Haus danach um, ob noch jemand anderes da war, den er begrüßen sollte. Er war auf so eine ganz besondere Art aufmerksam, wie eine Wildkatze – ruhig und gleichzeitig wachsam. Ich hatte ein gutes Gefühl, weil er offensichtlich dachte, er müsste mit mir genauso vorsichtig sein wie ich mit ihm.
    Ich schob die Mathebücher auf dem Tisch beiseite, und wir setzten uns hin.
    »Okay«, fing er an. »Wer hat euch bedroht?«
    Ich erzählte ihm davon, wie wir die Kerle mit dem Lieferwagen beobachtet hatten, wie Quentin in den Elektronikladen eingebrochen war und Meredith ihn beschuldigt hatte zu stehlen. Erst als ich wiederholte, was Quentin zu uns gesagt hatte, zeigte er eine Reaktion. Er presste die Lippen zusammen und legte auf dem Tisch eine Hand über die andere.
    »Ich rede mit Quentin«, sagte er, als ich fertig war.

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