Wir sind verbannt (German Edition)
Augen bekommen, und das hätte keinem etwas genützt. Er brauchte sie schließlich nicht – sie hatte den Schlüssel für das Tankstellen-Café nach ihrer letzten Schicht neben der Haustür gelassen, für den Fall dass jemand von uns tanken muss und sie nicht in der Nähe ist.
»Wenn du willst«, fuhr er fort, als ich nicht gleich antwortete, »kann ich es dir zeigen. Damit du mit eigenen Augen siehst, was wir da machen. Es sind nur zehn Minuten zu Fuß.«
In dem Moment knarrten die Treppenstufen, und anschließend steckte Drew den Kopf zur Tür herein. »Mit wem sprichst du denn, Kae …«, fing er an und hielt inne, als er Gav sah.
»Weber«, begrüßte Gav ihn mit einem Nicken.
»Reilly«, erwiderte Drew mit stocksteifer Stimme. »Ich wusste gar nicht, dass ihr zwei befreundet seid.«
Die beiden waren zwar nicht direkt im Begriff, sich an die Gurgel zu gehen, aber allzu freundlich sahen sie auch nicht gerade aus. Ich erhob mich. »Wir wollten gerade los«, sagte ich. »Ich bin gleich wieder da.«
Kaum waren wir draußen, wünschte ich, ich hätte eine dickere Jacke mitgenommen. Der Herbst war hereingebrochen, und mein Anorak konnte nur ansatzweise etwas gegen seine Kälte ausrichten. Gav, der die Hände in die Hosentaschen schob, schien das nicht sonderlich zu kümmern.
»Hast du ein Problem mit Drew oder er mit dir?«, fragte ich ihn.
»Es hat nichts mit ihm zu tun«, antwortete er. »Er ist bestimmt ganz okay. Bloß einer seiner Freunde und ich kommen nicht besonders gut miteinander aus – also, na ja, du weißt schon.«
Ich kam nicht umhin, mich zu fragen, ob »kommen nicht besonders gut miteinander aus« in diesem Fall eine Umschreibung für »liefern uns regelmäßig mal ’ne Prügelei« war. Die Worte purzelten mir einfach so heraus, bevor ich sie irgendwie aufhalten konnte: »Ich hab gehört, dass du so was wie einen Fight-Club laufen hast. Mit Quentin und diesen anderen Typen.«
»Na ja«, erwiderte er und fuhr sich mit der Hand durch die Haare, »das hat sich irgendwie so ergeben. Ein paar von uns reinigen im Sommer bei den Ferienhäusern immer die Pools, mähen den Rasen und übernehmen noch andere Jobs. Und da war so ein Typ, ungefähr in unserem Alter, der jedes Jahr mit seiner Familie herkam und irgendwie darauf stand, uns dumm anzumachen. Hat versucht, uns zu provozieren, wollte unbedingt beweisen, was für ein harter Kerl er ist. Ich hab ihn immer einfach ignoriert, aber letztes Jahr hat er Warren dermaßen auf die Palme gebracht, dass er beinahe auf ihn losgegangen wäre. Und da hat der Kerl ihm einfach eine reingehauen. Hat ihm die Nase gebrochen, einen Zahn ausgeschlagen und ihn total vermöbelt. Und um das Ganze noch zu toppen, haben seine Eltern Warren auch noch zur Schnecke gemacht, als sie ihn das nächste Mal sahen, weil er an dem Tag seinen Job nicht zu Ende gebracht hatte.«
»Das ist ja schrecklich«, stellte ich schaudernd fest.
»Genau«, sagte Gav. »Also dachte ich, diesen Sommer sollte ihm mal jemand zeigen, wo der Hammer hängt, und weil Warren nicht so unheimlich wild darauf war, konnte ja ebenso gut ich derjenige sein. Ich fing an, im Internet Videos über Kampftechniken anzuschauen. Du hast ja keine Ahnung, was man da so alles findet. Ich hab Warren dazu gekriegt, dass er mir hilft, einige von den Bewegungsabläufen zu üben, und anschließend hat er ein paar von unseren Freunden davon erzählt, und wir haben alle gemeinsam trainiert. Irgendwer muss es rumerzählt haben, denn dann tauchten plötzlich ein paar Typen auf, die ich überhaupt nicht kannte, Quentin zum Beispiel, und fragten, ob sie mitmachen könnten. Nach einer Weile waren wir so ungefähr zehn Leute, die sich regelmäßig trafen. Das hört sich vielleicht bescheuert an, aber man hat dabei Gelegenheit, ein bisschen Dampf abzulassen. Und was soll schon daran falsch sein, wenn man sich selbst verteidigen kann?«
»Nichts, vermutlich«, gab ich zu. »Ich hätte jedenfalls keinen blassen Schimmer, was ich tun sollte, wenn mich jemand angreift.«
Bis jetzt war mir noch nie der Gedanke gekommen, dass das vielleicht nötig sein könnte. Aber was würde ich denn tun, wenn ich draußen auf der Straße wäre und irgendwer in seinem Wahn auf mich losginge? Oder wenn so einer wie Quentin wirklich mal versuchen würde, mir ein Brett über den Kopf zu ziehen? Dann wäre es sicher gut zu wissen, dass ich mich selbst verteidigen kann, und Meredith, wenn’s drauf ankommt.
»Wenn du willst«, bot Gav mir an,
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