Wir sind verbannt (German Edition)
»Er wird alles, was er genommen hat, wieder zurückbringen. Und ich werde mich vielleicht nach jemand anderem umsehen müssen, mit dem ich meine Zeit verbringe.«
Er sagte das mit einer Bestimmtheit, als wäre überhaupt nichts dabei, Quentin dazu zu bringen, das zu tun, was er verlangte, und als wäre dieser Typ ihm nicht mindestens ein Dutzend Kilo an Gewicht und mehrere Zentimeter an Körpergröße überlegen. Ich fragte mich, wie Gav es eigentlich angestellt hatte, der Anführer dieser Gruppe zu werden.
»Deswegen ist es noch lange nicht in Ordnung, dass ihr das ganze Essen bei euch hortet«, erwiderte ich. »Im Krankenhaus mühen sie sich schon genug damit ab, die Leute am Leben zu halten, auch ohne sich auch noch darum sorgen zu müssen, ob sie verhungern, wenn die nächste Lieferung sich verspätet. Wieso solltet ihr mehr bekommen als die anderen?«
»Bekommen wir ja gar nicht«, antwortete er. »Ich versuche zu helfen. Nach der Sache unten am Hafen hatte es den Anschein, als würden die Leute langsam durchdrehen. Ich dachte, früher oder später würde irgendwer in Panik geraten und anfangen, alles kurz und klein zu schlagen und sich zu schnappen, was immer er kriegen kann.«
»Und da habt ihr euch gedacht, ihr schnappt es euch zuerst«, erwiderte ich.
»Na ja, so was Ähnliches«, gab er zu. »Aber das Essen ist nicht nur für uns. Nach allem, was wir zu dem Zeitpunkt wussten, hatte die Regierung nicht vor, noch eine weitere Lieferung zu schicken. Und nach allem, was wir jetzt wissen, ist die, die gerade angekommen ist, die letzte. Und die Leute im Rathaus geben die Vorräte einfach an jeden raus, der da auftaucht – aber was ist mit denen, die zu viel Angst haben, um aus dem Haus zu gehen? Wir haben einen besseren Plan. Wir haben alle nichtverderblichen Waren in eine der Lagerhallen unten am Kai gebracht, zu der Vinces Dad Zugang hat. Wir fahren jeden zweiten Tag mit dem Lieferwagen die Häuser ab und sorgen dafür, dass die Leute genug zu essen haben. Und wir versorgen sie mit Nachschub, wenn sie mehr brauchen. Letzte Woche war ich sogar hier bei euch – ich hab mit deiner Mom gesprochen. Die Idee, die dahintersteht, ist, dafür zu sorgen, dass alle etwas von dem Essen abbekommen.«
Was er da erklärte, lag so weit entfernt von dem, was ich erwartet hatte, dass ich erst einmal einen Moment brauchte, um meine Sprache wiederzufinden.
»Ist das dein Ernst?«, fragte ich. »Ihr habt die ganzen Lebensmittel nur aus dem Supermarkt gestohlen, um sie den Leuten wieder zurückzugeben?«
Er zuckte mit den Schultern und antwortete: »Es ist doch jedes Mal dasselbe, wenn du von so einer Katastrophe liest. Die Verantwortlichen sehen erst mal, wo sie selber bleiben. Die Armee ist mehr auf ihre eigene Sicherheit bedacht, anstatt sich darum zu kümmern, dass das Essen überall verteilt wird. Von denen im Rathaus reißt sich auch keiner ein Bein aus. Und der Rest von uns kann sich drum streiten, wer das Übriggebliebene kriegt; oder eben versuchen, etwas Vernünftiges draus zu machen. Ich denke, je mehr Leute mithelfen, umso eher stehen wir das durch.«
Vielleicht war er nicht ganz fair, schließlich hatte die Regierung im Großen und Ganzen ihren Teil bei der Sache getan, und ich kann mir vorstellen, dass jeder einzelne der Behördenmitarbeiter auf der Insel alle Hände voll damit zu tun hat, sich um den Krankenhausnotstand zu kümmern. Doch im Grunde unterschied sich das, was Gav machte, gar nicht so sehr von Tessas und meiner Medikamentenaktion.
»Und was denkst du, was ich bei der Sache tun kann?«, fragte ich.
Das angedeutete Lächeln, mit dem er mich ansah, hätte unter Umständen auch arrogant wirken können, doch stattdessen sah es einfach nur aus, als sei er dankbar, dass ich ihm überhaupt zuhörte. »Na ja, du bist im Moment die Top-Informantin, weil du durch deinen Dad als Einzige auf dem Laufenden bist, was wirklich passiert«, antwortete er. »Aber heute bin ich vor allem hier, weil deine Mom neulich erwähnte, dass sie an der Tankstelle arbeitet. Wir haben den Lieferwagen und ein paar andere Autos zur Verfügung, und bei allen geht inzwischen langsam der Sprit aus. Ich dachte, du könntest sie vielleicht bitten, die Tankstelle kurz aufzumachen, damit wir volltanken können.«
Ich öffnete den Mund und machte ihn gleich wieder zu. Ich schluckte. Wenn ich ihm erzählt hätte, warum Mom nirgendwohin gehen würde, hätte die Situation peinlich werden können, und womöglich hätte ich feuchte
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