Wir sind verbannt (German Edition)
richtigen Worte zu fehlen.
»Bis bald, Kaelyn«, sagte er stattdessen.
Dad sah ihm nach und wendete sich daraufhin wieder seinem Laptop zu.
»Dad«, sagte ich, »muss ich noch sehr lange hierbleiben? Ich will nicht bloß hier rumliegen, während alle anderen die Arbeit machen.«
»Wir werden mal sehen, wie es dir in den nächsten Tagen geht«, antwortete er. »Ich möchte nicht, dass du dich gleich überanstrengst.«
»Aber ich bin doch auch wirklich gesund?«, fragte ich, während mich ein furchtbarer Gedanke ergriff. »Ich kann doch nicht wieder krank werden, oder?«
Dad setzte sich neben mich. »Nun ja«, erwiderte er, »im Moment müsste dein Immunsystem in der Lage sein, das Virus abzuwehren, wenn es erneut mit ihm zusammentrifft. Aber wir wissen natürlich nicht, was in Zukunft noch passiert. Das Virus könnte mutieren, und dann wären deine Abwehrkräfte nicht zwangsläufig ausreichend. Deshalb müssen wir weiterhin gut aufpassen, ja? Dieselben Vorsichtsmaßnahmen wie vorher.«
Zurzeit bin ich also in Sicherheit – so sicher, wie man eben sein kann. Vielleicht nicht direkt unbesiegbar, aber ich muss auf jeden Fall weniger Angst haben als sonst irgendjemand. Der allerkränkste Patient im ganzen Krankenhaus könnte mir ins Gesicht niesen, und es würde mir nichts ausmachen.
Ich muss die Tatsache, überlebt zu haben, als Geschenk betrachten, ob ich es nun verdient habe oder nicht. Und aus diesem Geschenk werde ich das Beste machen. Das heute war schon mal nicht schlecht, aber das war erst der Anfang.
13. November
Ich bin frei!
Dad hat heute entschieden, dass es mir gut genug geht, um das Krankenhaus zu verlassen. Gerade als ich die Neuigkeit erfuhr, kam Gav vorbei und bot an, mich rüber zu Tessa zu fahren.
Mir war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr ich mich an die Beinahe-Stille meines Zimmers gewöhnt hatte. In den Krankenhausfluren saßen die Leute auf Decken oder Kissen, oder was immer die freiwilligen Helfer sonst hatten auftreiben können, und husteten und niesten in ihre Schutzmasken. Sie beobachteten, wie ich mit Gav im Schlepptau an ihnen vorüberging. Meine Maske konnte nur einen Teil des süßlich-sauren Geruchs abhalten und machte jeden Atemzug feucht und schwer. Als wir zur Tür hinaustraten, riss ich sie herunter und sog die kühle Luft in mich ein.
Draußen war es wieder still. Vertrocknete Blätter wehten über die Dächer der Autos, die niemals mehr von ihren Besitzern abgeholt werden würden. Fast alle Bäume waren schon kahl. Der Wind trieb Abfälle quer über die Straße, und die uns gegenüberliegenden Fenster waren alle dunkel.
Ich fröstelte und zog meine Jacke enger um mich. Der Anblick dieser Stadt machte jedes Fünkchen Hoffnung, unser Leben könnte jemals wieder so sein, wie es noch vor zwei Monaten war, unmöglich.
Gav hatte seine Schutzmaske auch heruntergezogen. »Alles okay mit dir?«, erkundigte er sich. Es wird schon irgendwie werden, sagte ich zu mir selbst. Wir sorgen dafür, dass es irgendwie wieder wird.
»Ja«, antwortete ich. »Weißt du, es ist bloß, weil ich seit ein paar Wochen nicht mehr hier draußen war.«
Gavs Auto, oder vielmehr das Auto seiner Eltern, ist ein ehemals weißer, mittlerweile aber grauer alter Ford Kombi, an dessen Kotflügeln der Rost wie eine Hautflechte entlangkriecht. Im Innenraum stank es nach Zigarettenrauch. Ich rümpfte automatisch die Nase, was Gav natürlich bemerkte.
»Meine Mom«, sagte er. »Ich hab versucht, es mit Lüften wegzukriegen, aber das braucht wahrscheinlich seine Zeit, wenn der Qualm fünfzehn Jahre hatte, um sich überall festzusetzen.«
»Hat sie denn nichts dagegen, dass du ihn fährst?«, fragte ich vorsichtig.
Da wurde seine Stimme ganz steif. »Sie ist nicht direkt in der Lage, sich darum noch Gedanken zu machen«, antwortete er.
Er hatte erzählt, dass sie krank war, als er Meredith und mir die Selbstverteidigungstechniken zeigte. Und das bedeutete, dass sie wahrscheinlich schon nicht mehr lebte, als ich im Krankenhaus wieder zu mir kam. Aber er hatte nichts davon gesagt.
»Und wie geht es deinem Dad?«, fragte ich.
»Dasselbe wie mit ihr«, antwortete er in einem Tonfall, der darauf hindeutete, dass er lieber nicht darüber reden wollte, und drehte den Schlüssel im Zündschloss.
Angesichts des Zustandes, in dem der Wagen sich befand, sprang der Motor leichter an als erwartet. Sein Rumpeln erschien in der Stille schrecklich laut. Das einzige Anzeichen für Leben, das ich auf dem Weg zu Tessa
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