Wir sind verbannt (German Edition)
erkundigte ich mich.
»Ja«, erwiderte sie und schmunzelte. »Ich musste nur gerade daran denken – Leo war mal mit mir zusammen hier und half den Wagen zu beladen. Ich quasselte dauernd über meine ganzen Pläne, und er nickte und lächelte immer nur, so dass man genau sehen konnte, dass er die meiste Zeit keinen blassen Schimmer hatte, wovon ich eigentlich sprach. Er hatte es eigentlich nie so mit dem Gärtnern oder der Landwirtschaft. Aber dann schon, wegen mir. So war er eben.«
Sie senkte den Blick und wandte sich ab. Bis dahin war mir gar nicht klar gewesen, wie sehr sie dich vermisst, Leo. Und eine seltsame Mischung aus eigener Sehnsucht und schlechtem Gewissen stieg in mir auf – wegen all der Gelegenheiten, bei denen ich dachte, du bedeutetest ihr nicht genug.
»Er ist ein toller Freund«, sagte ich.
»Ja«, antwortete sie. »Der beste.« Damit stieg sie in den Wagen. Und das war’s, Kapitel beendet.
»Alles in Ordnung mit Gav?«, erkundigte sie sich auf dem Weg zum Krankenhaus. »Er ist schon eine ganze Weile nicht mehr vorbeigekommen.«
»Es geht ihm gut«, erwiderte ich. »Er ist bloß – sein bester Freund ist krank geworden. Er verbringt jetzt die meiste Zeit damit, ihm Gesellschaft zu leisten.«
Auch wenn es weh tut, von Warren zu sprechen, zu wissen, wie sehr Gav sich um ihn sorgt, und obwohl es mir zusätzlich Gewissensbisse verursachte, weil es für Tessa bestimmt hart sein musste, uns beide zusammen zu sehen, während ihr eigener Freund Hunderte von Kilometern weit weg ist, überkam mich doch wieder dieses warme Prickeln, als ich an Gav dachte. Ich ließ mich hineinschweben und fragte mich auf der ganzen Fahrt zu Tessa nach Hause, wie es sein konnte, dass mich etwas so glücklich machte, während um mich herum so viel schiefging.
Sie parkte den Wagen in der Einfahrt. Alles erschien ganz normal. Doch dann flog das Fenster im ersten Stockwerk auf, und Merediths Stimme holte mich wieder zurück in die Realität.
»Kaelyn!«, rief sie von oben herunter. Sie rang ein paar Mal nach Luft, mit diesen atemlosen Schluchzlauten, die Leute von sich geben, wenn sie geweint haben und versuchen, sich wieder zu beruhigen. »Seid vorsichtig!«, rief sie. »Ich glaube, sie sind alle weg, aber ich bin mir nicht sicher.«
Mir blieb das Herz stehen.
»Wer denn?«, fragte ich. »Was ist passiert?« Doch sie hatte schon wieder angefangen zu weinen und konnte nicht antworten.
Tessa lief zur Tür und öffnete sie mit einem Ruck. Dabei hatte sie auf einmal den Griff in der Hand. Drinnen war der Fußboden mit schlammigen Fußabdrücken gepflastert, und ich konnte erkennen, dass in der Küche sämtliche Schranktüren aufgerissen worden waren. Tessa eilte dorthin, während ich die Treppe hinaufstürmte.
Die Tür zum großen Schlafzimmer war zu und abgeschlossen. Ich klopfte.
»Meredith«, sagte ich, »du kannst rauskommen. Wer immer das war, sie sind weg. Geht’s dir gut?«
Sie schniefte, und das Schloss machte klick. Kaum hatte sie die Tür geöffnet, fiel ich auf die Knie und nahm sie in den Arm. Sie vergrub das Gesicht an meiner Schulter.
»Es war dieser Kerl, der so böse war, als wir in dem Spielzeuggeschäft waren«, sagte sie. »Und noch ein paar andere, aber die hab ich nicht gekannt. Er hat mich gepackt und gesagt, ich müsste ihm zeigen, wo wir die Sachen aufbewahren, die Tessa mit dir aus den Häusern geholt hat. Ich hab gesagt, dass ihr sie dem Krankenhaus gegeben habt, und da ist er richtig zornig geworden. Und dann haben sie angefangen, die Küche zu durchsuchen, und er hat nicht mehr aufgepasst. Da bin ich ihm entwischt und schnell hier raufgerannt. Das war doch gut, oder?«
»Supergut«, erwiderte ich. Ich war so wütend, dass meine Stimme zitterte. Hätte ich in dem Moment eine Waffe gehabt und Quentin wäre mir vor die Augen getreten, ich hätte ihn vermutlich, ohne eine Sekunde zu zögern, über den Haufen schießen können.
Ich ließ Meredith los und musterte sie von oben bis unten. Ihre Handgelenke zeigten schon Ansätze von Blutergüssen, rotblaue Fingerabdrücke auf ihrer dunkelbraunen Haut. Ich umarmte sie noch einmal und gab ihr einen Kuss auf den Kopf.
Da zerriss ein markerschütterndes Heulen die Luft, so schmerzerfüllt, dass mir die Haare auf den Armen zu Berge standen.
Mein erster Gedanke war, dass ich mich getäuscht hätte, dass doch noch jemand im Haus war und dass sie Tessa etwas antaten. »Warte hier«, sagte ich zu Meredith. »Und halte die Tür verschlossen, bis
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