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Wir sind verbannt (German Edition)

Wir sind verbannt (German Edition)

Titel: Wir sind verbannt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Crewe
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praktisch mit Gewalt ins Auto zerren – er hatte beschlossen, selbst hierherzufahren, als ob er das noch könnte. Er hatte Angst um mich .«
    Er schüttelte den Kopf, als wäre das der lächerlichste Gedanke überhaupt.
    Wir saßen da und sagten nichts, mehrere Minuten lang. Mein Inneres fühlte sich an, als wäre es komplett zu kleinen Knoten verschnürt. Schließlich hob er den Kopf und sah mich an. Beim Anblick seines Gesichtsausdrucks zogen sich all die Knoten noch fester zusammen, bis ich kaum noch Luft bekam. Er sah aus, als gäbe er sich geschlagen.
    »Was soll das Ganze, Kaelyn?«, fragte er. »Wenn nichts von dem, was wir tun, irgendwas bringt, wenn wir trotzdem alle sterben – wozu dann das alles?«
    Ich weiß es nicht. Wenn nicht mal mehr Gav irgendeinen Sinn sieht … Was, wenn es wirklich keinen gibt?
    Aber das konnte ich natürlich nicht sagen. Nicht, als er mich so ansah. Da begann sich plötzlich ein Gedanke in meinem Kopf zu entfalten, so zart, dass ich Angst hatte, ihn zu berühren.
    Vielleicht brauche ich mir gar keine Sorgen darüber zu machen, wie ich für ihn empfinde. Ganz anders als bei dir. Vielleicht braucht er ja mich .
    Deshalb tat ich das Einzige, was mir in dem Moment einfiel. Ich küsste ihn. Und er strich mir mit den Fingern durchs Haar und erwiderte meinen Kuss, ganz innig.
    Das genügte als Antwort, vorerst jedenfalls. Ich hoffe, wir finden irgendwann noch eine bessere. Für uns beide.

29. November
    Gestern Abend bin ich noch einmal ins Krankenhausarchiv gegangen. Ich habe überlegt, ob es vielleicht doch etwas gibt, das Dad und ich übersehen haben. Ich nahm die Akten der sechs Überlebenden, inklusive meine eigene, aus dem Schrank und schnappte mir noch zehn andere beliebige zum Vergleich. Als ich die letzte davon herauszog, streifte mein Blick die Namen dahinter, und ich entdeckte deine Akte und die deiner Mom und deines Dads.
    Ich hatte deine Eltern auf meinen Fahrten nicht gesehen. Ich hatte zwar die ganze Zeit gehofft, dass es ihnen gutgeht, aber ich wusste es nicht genau. Ich hätte mich bei Tessa erkundigen können, ob sie mit ihnen gesprochen hat; ich hätte zu euch nach Hause fahren können; ich hätte früher einen Blick in die Krankenakten werfen können. Aber eigentlich wollte ich es gar nicht wirklich wissen. Denn solange ich es nicht wusste, hätte es immer noch eine gute Nachricht sein können. Aber gestern legte ich, ohne richtig drüber nachzudenken, die Akte aus der Hand, die ich gerade darin hielt, und nahm ihre heraus.
    Es tut mir ja so leid, Leo.
    Es gibt einen Grund dafür, dass ich sie nicht mehr gesehen habe, seit ich bei den Freiwilligen mithelfe. Deine Mom wurde eine Woche, nachdem sie die Quarantäne verhängt haben, mit den ersten Symptomen eingeliefert. Dein Dad folgte ihr ein paar Tage später. Sie waren beide schon tot, als ich noch nicht mal krank war.
    Für so gut wie jeden Inselbewohner existiert eine Akte in diesem Raum. Ich starrte sie alle an, und mir wurde auf einmal klar, wie viele von unseren Nachbarn das Virus schon umgebracht hatte, wie viele unserer Lehrer es nicht geschafft hatten, wie viele Leute aus der Schule noch vor Shauna ins Krankenhaus gekommen waren und es nie wieder verlassen hatten.
    Ich weiß nicht, warum, aber die ungeheure Menge traf mich in diesem Augenblick härter als jemals zuvor. Keine fünf Sekunden später kauerte ich in der Toilette auf der anderen Seite des Flures und versuchte mein Abendessen drinzubehalten. Und selbst als mein Magen endlich aufhörte zu rotieren, stieg in meinem Hals noch immer die Säure nach oben.
    Der alte Steinbruch muss inzwischen vor Leichen überquellen. So viele Menschen. Menschen, mit denen wir den größten Teil unseres Lebens verbracht haben. Das darf nicht so weitergehen.
    Als ich wieder stehen konnte, ging ich zurück ins Archiv, schob die Schublade mit den Akten zu und machte mich an die Arbeit.
    Es wäre viel einfacher, die ganzen Informationen auf dem Computer zu organisieren. Drew hätte mir sicher irgendein Programm basteln können, so wie das für die Telefonanrufe … War das wirklich noch nicht mal zwei Monate her?
    Wenn Drew hier wäre.
    Aber wenn dann der Strom ausfiele, wie sonst beinahe alles, dann wäre ich alle Aufzeichnungen los. Also fing ich an, Tabellen auf einen Block mit Millimeterpapier zu zeichnen, den ich im Vorratsregal gefunden hatte, und Zahlen, Daten und Medikationen zu vergleichen. Wie lange es jeweils gedauert hatte, bis die Leute ein bestimmtes

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