Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
eine besondere Bedeutung in ihrem Leben hatten.
Für die 80 -jährige Betty Rose waren ihre Besitztümer so etwas wie ein Archiv für den zentralen Aspekt ihrer Existenz: die Rolle als Ehefrau und Mutter. Sie war 53 Jahre verheiratet gewesen, bevor ihr Mann an Krebs verstarb. Wie viele Frauen ihrer Generation hatte sie ihr Leben ganz der Familie und dem Heim gewidmet. Die Einbauküche, den Kamin, die Garage betrachtete sie als Beweis der Zuneigung ihres Mannes zu ihr. Zahlreiche Geschenke der drei Kinder und sieben Enkel erinnerten sie an das starke Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen ihnen: Handarbeiten der älteren Tochter, das Handy, das einer der Söhne ihr besorgt hatte, ein Porzellanservice, das die Kinder den Eltern zur Silberhochzeit überreicht hatten, Fotocollagen der jüngsten Enkelin, selbst der Goldfisch, der ein Geschenk einer ihrer Schwiegertöchter war.
Auch anderen Teilnehmerinnen der Studie dienten Gegenstände als Beleg dafür, dass ihr Leben von Bedeutung war. Für die 69 -jährige Kelly Wilson symbolisierte das von ihrem Gatten eigenhändig gebaute Gartenhäuschen das Wir-Gefühl, das die beiden verbunden hatte. Es gehe nicht nur darum, betonte sie, dass ihr Mann diese Sachen selbst gemacht, sondern dass sie seine Freude darüber geteilt hatte. Die 64 -jährige Linda Forrester wiederum hatte eine Ecke des Esszimmers mit Fotos von Großmutter, Mutter, Töchtern und Enkelinnen dekoriert. So konnte sie ihrer Verbundenheit mit früheren Generationen und dem Wunsch, Traditionsbewussten an die Nachkommen weiterzureichen, Ausdruck verleihen.
Es gibt mehrere Gründe, warum Gegenstände so effektive Gedächtnishilfen sind. In seinem Buch über Geliebte Objekte hat der Psychologe Tilmann Habermas die wichtigsten zusammengestellt. Eine Muschel, ein Foto oder ein Buch können schlicht an eine bestimmte Situation oder einen bestimmten Menschen erinnern – doch meist tun sie viel mehr als das. Dinge helfen, Einzelereignisse zu organisieren und daraus eine Geschichte zu konstruieren. Sie können Themen symbolisieren, die sich als roter Faden durch das Leben ziehen und in immer neuen Variationen und Fortentwicklungen auftauchen. Oder sie repräsentieren Kernepisoden des Lebens, die wie ein Prisma ähnliche Erfahrungen zu einer Erinnerung verdichten. Dabei gelte, betont Habermas, »je mehr unterschiedliche biografische Bezüge ein Objekt auf sich vereint, umso umfassender repräsentiert es die Biografie und umso bedeutsamer ist es für den Besitzer«. Gegenstände sind zudem in der Lage, zeitliche und räumliche Distanzen zu überwinden. Dadurch können sie das Kontinuitätsgefühl eines Menschen fördern, »und zwar viel konkreter, als dies im Medium der Phantasie möglich ist«. Ein Erbstück, ein Reisesouvenir, ein alter Liebesbrief holt die Vergangenheit in die Gegenwart und macht sie unmittelbar erfahrbar. »Die Person«, so Habermas, »versichert sich mit ihrer Hilfe auf fast täuschende Weise sinnlich ihrer aktuellen Version von ihrer Kontinuität mit sich selbst.«
Gegenstände können Erinnerungen auch auf verdeckte Weise speichern und so Geheimnisse wachhalten, ohne sie preiszugeben. Andreas Kuntz, Professor für Volkskunde an der Universität Freiburg, hat vor einigen Jahren einige Beispiele zusammengetragen. Eine besonders eindrucksvolle Geschichte handelt von einer Mutter, die den Tod ihres Sohnes durch Unachtsamkeit mitverursacht hatte. Unmittelbar nach dem tragischen Unfall fand sie auf der Straße eine Weihnachtsbaumfigur in Form eines Holzpferdchens. Repräsentiert durch das Pferdchen nahm der tote Sohn nun alljährlich am Weihnachtsfest teil, ohne erwähnt werden zu müssen. Auch das alte Skizzenbuch eines Malermeisters stellte sich als diskreter Speicher für eine ambivalente Erinnerung heraus. Das Buch, das der Mann während der Kriegsgefangenschaft in England angefertigt hatte, stand für sein zeichnerisches Talent und seinen Berufswunsch als Künstler, den er wegen seiner (von ihm gerne verschwiegenen) Mitgliedschaft in der Waffen-SS nach dem Krieg nicht verfolgen konnte.
Erinnerungsobjekte, die auf wichtige Ereignisse oder Menschen im eigenen Leben verweisen, können auch für junge Menschen wichtig sein. Doch je mehr an Lebensspanne ein Mensch hinter sich gebracht hat, weiß Habermas, desto prominenter ist in der Regel der Platz, den solche »autobiografischen Souvenirs«, wie er sie nennt, einnehmen. Diese Gegenstände verlieren für die Eigentümer mit zunehmender Besitzdauer
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