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Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben

Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben

Titel: Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Schaefer
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amerikanischen Studie schnitten Bewohner von Altenpflegeheimen, die mindestens ein geliebtes Objekt bei sich hatten, deutlich besser ab als solche ohne persönliche Schätze: Sie hatten das Gefühl, die Situation besser im Griff zu haben, zeigten weniger Anzeichen von Stress, waren motivierter und konfliktresistenter.
    Wenn der Tod naht
    Jeden Donnerstag um 11 Uhr geht Gabriele Müller-Mamerow zum Gerichtsgebäude A in der Frankfurter Innenstadt und holt sich ihre Arbeit ab. Mit rasantem Schritt klappert sie sechs Büros ab und schaut in die ihr dort zugewiesenen Postfächer. An dem Dezembertag, an dem ich sie begleite, ist überraschenderweise kein neuer Fall für sie dabei. So kurz vor Weihnachten, sagt sie, gibt es normalerweise zahlreiche Todesfälle. Doch heute sind ihre Fächer leer. So fahren wir zu ihr nach Hause und unterhalten uns.
    Seit rund zehn Jahren ist die Mittfünfzigerin als Nachlassverwalterin tätig. Ihr Spezialgebiet sind sogenannte Leichensachen. Das sind Fälle, bei denen ein Mensch tot in seiner Wohnung aufgefunden wird und die Angehörigen unbekannt sind. Müller-Mamerow ist dafür verantwortlich, werthaltige Besitztümer sicherzustellen, Erben ausfindig zu machen und die Wohnung aufzulösen. Es ist eine Arbeit, bei der man unweigerlich zum Experten für das Thema Besitztümer und Tod wird.
    Wenn Müller-Mamerow die Wohnung eines Verstorbenen betritt, macht sie sich sofort auf die Suche nach Wertgegenständen, um sie vor unrechtmäßigem Zugriff zu schützen. Unter den Rechtspflegern und Kollegen ist sie für ihre gute Spürnase bekannt. Bargeld, Schmuck, Gemälde, Goldbarren, Schlüssel zu Schließfächern in der Schweiz – wenn es etwas zu finden gibt, dann findet sie es auch, selbst wenn es der Besitzer gut versteckt hat. Bei der Schatzsuche lässt sie sich vor allem von ihrer Intuition leiten. Müller-Mamerow lässt eine Wohnung erst einmal auf sich wirken, denn der erste Eindruck, sagt sie, sei der wichtigste. Nach fünf Minuten weiß sie, in welchem Bereich der Wohnung der Mensch zuletzt hauptsächlich gelebt hat. Dort befinden sich meist auch die wertvollen Sachen. »Wenn man altert, wird der Radius kleiner«, erklärt sie. »Die Leute haben alles Wichtige in der Nähe.« Sie setzt sich auf den Stuhl, in den Sessel, auf dem der Besitzer zuletzt vornehmlich gesessen hat und versucht, sich in ihn hineinzuversetzen. Was liegt in Augenhöhe? Wo kommt ein alter Mensch noch dran? Einmal hat sie eine größere Menge Geld in einem Buch gefunden, das ihr aufgefallen war, weil es in der Reihe hervorstand. Ein anderes Mal wurde sie stutzig angesichts eines Regals, das weniger staubig als die anderen war. Auch wenn sie auf einen Schrank stößt, der als einziger abgeschlossen ist, wird sie aufmerksam.
    Die Nachlassverwalterin bemüht sich, möglichst viel von dem, was sie in einer Wohnung findet, zu veräußern. Haushaltsgegenstände, Kleider und ähnliches gehen zu einem Second-Hand-Laden, der Kommissionsware verkauft. Wertvollere Gemälde, Teppiche und echten Schmuck gibt sie an Auktionshäuser; auch einen guten Goldhändler hat sie an der Hand. Den Rest nimmt eine Entrümpelungsfirma ab. Der Erlös der Verwertung dient dazu, die Kosten der Beerdigung zu decken. Den Rest bekommen die Erben – falls sich welche ermitteln lassen. Auch dies gehört zu Müller-Mamerows Aufgaben. Dazu durchforstet sie Briefe, Stammbücher, Fotoalben, Urkunden oder Telefonregister, die sie in einer Wohnung findet. Wenn sie Angehörige kontaktiert, sind die Reaktionen gemischt. Die Tochter einer Verstorbenen hat sie schon mal der Unterschlagung verdächtigt. Aber sie erlebt auch viele dankbare Menschen. Wenn jemand bekennt: »Durch die Erbschaft kann ich jetzt Sachen machen, die ich mir nie hätte leisten können«, freut das die Nachlassverwalterin sehr.
    Müller-Mamerow ist einer jener Menschen, von denen man sagt, sie gehen in ihrer Arbeit auf. Wenn sie von ihrem Alltag mit Toten, Nachlassverwertern und Erben erzählt, merkt man, wie viel Energie und Herzblut sie investiert. Dabei habe sie mit dem Tod eigentlich nie etwas zu tun haben wollen, erzählt die lebhafte, warme Frau, die ihre drei Kinder nach der Scheidung allein großgezogen hat und sich in ihrer Freizeit mit Reiki befasst. Früher arbeitete sie als Notariatsgehilfin, ließ sich zur Steuerberaterin ausbilden und entdeckte dann ihr Faible für die Nachlasspflege.
    Wenn sie eine Wohnung in einer Leichensache betritt, kann sie sofort sagen, ob und wie sich

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