Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
der verstorbene Bewohner auf sein Ableben vorbereitet hat. Zwei Kategorien von alten Menschen hat sie identifiziert. Es gebe jene, die misstrauisch sind, die sich nicht von ihren Sachen trennen können, erklärt sie: »Die klammern, klammern, klammern.« Ihre größte Angst sei es, beklaut zu werden. »Paradoxerweise passiert dann genau das, was sie am meisten gefürchtet haben: Nach ihrem Tod greifen der Pflegedienst, die Putzfrau, der Hausmeister, Freunde, manchmal sogar die Polizei zu.« Müller-Mamerow hat das häufig erlebt, zum Beispiel bei einem Mann, der posthum von einer Bekannten ausgenommen wurde. Er hatte viel Zeit mit der Frau verbracht, ihr aber, was materielle Dinge angeht, nicht vertraut. Als der Mann ins Krankenhaus musste und seine Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln konnte, wurde der Frau die Vermögenssorge für ihn übertragen, weil seine Schwester gerade außer Landes war. Der Mann starb und die Bekannte nahm prompt alle wertvollen Besitztümer mit. Nach ihrer Rückkehr fand die Schwester eine weitgehend leere Wohnung vor.
In der anderen Kategorie, erklärt Müller-Mamerow, finden sich Menschen, die zu Lebzeiten anfangen, ihre Sachen wegzugeben: »Sie specken ab, verkleinern sich, der Besitz wird immer weniger.« Im hohen Alter, weiß sie, wird vieles unwichtig und das wirkt sich auch auf die Besitztümer aus: Die Menschen haben vielleicht nur noch das Nötigste an Geschirr, weil die Verköstigung von Gästen keine Rolle mehr spielt. »Das sind Wohnungen, die sehr aufgeräumt wirken und in denen auch sonst alles geregelt erscheint. Hier finde ich meist nichts mehr zum Verwerten, denn die Besitzer haben schon vorher losgelassen.« Ihrer Erfahrung nach ist dies allerdings ein längerer Prozess: »Das Loslassen läuft in Stadien ab, und an der Wohnung kann man sehen, wie weit ein Mensch dabei schon fortgeschritten war. Gibt es noch viele Bücher, gutes Porzellan, Kerzenleuchter aus Silber, oder wurden sie bereits weggegeben oder verschenkt?« Ob sich jemand auf diesen Weg macht, meint sie, sei auch eine Frage der Persönlichkeit: »In diese Kategorie gehören Menschen, die offen sind, die Hilfe von Nachbarn anzunehmen.« Sie stürben auch eher im Krankenhaus und seltener allein.
Vieles von dem, was die Nachlasspflegerin aus ihrer täglichen Arbeit kennt, wird durch wissenschaftliche Studien bestätigt. Zum Beispiel der bei sehr alten Menschen zu beobachtende Rückzug von Materiellem. Mit zunehmender Nähe zum Tod scheint die Bindung an Besitztümer tendenziell abzunehmen. So zeigte sich in den Studien des Gerontologen Sherman ein deutlicher Alterseffekt. Menschen, die das 80 . Lebensjahr überschritten hatten, nannten signifikant weniger Gegenstände, an denen ihr Herz hing oder die sie an wichtige Aspekte ihres Lebens erinnerten, als jüngere Senioren. Ein Grund könnte sein, vermutet der Wissenschaftler, dass der Lebensrückblick, der wie oben beschrieben in den Jahren zwischen sechzig und siebzig eine große Rolle spielt, am Lebensende an Bedeutung verliert. In der Tat beschäftigten sich die sehr Alten in der Sherman-Studie relativ wenig mit früheren Zeiten.
Die Abnabelung von Dingen ist allerdings nicht nur bei Greisen zu beobachten, sondern bei Menschen aller Altersstufen, die ihren eigenen Tod herannahen sehen. Aids-Kranke in der letzten Phase beispielsweise kümmern sich kaum noch um ihre Besitztümer, während sie Kontakte zu anderen Menschen durchaus weiter pflegen. Selbst bei Kindern kennt man das Phänomen: Mädchen und Jungen, die an tödlichen Krankheiten leiden, verlieren oft das Interesse an Spielzeug und anderen kindlichen Schätzen, wenn ihnen die Endgültigkeit ihrer Situation bewusst wird.
Loslassen und weitergeben
Das Loslassen von Dingen ist, wie Müller-Mamerow zutreffend beschreibt, ein Prozess. Ältere Menschen machen sich oft viele Gedanken darüber, wie und an wen sie Schmuck, Bücher oder andere Dinge weitergeben können. Dabei spielen praktische Überlegungen wie der Umzug in eine kleinere Wohnung oder ein Seniorenheim eine Rolle. Es geht aber auch darum, mit den liebgewonnenen Dingen einen Teil von sich selbst weiterzugeben und damit die eigene Existenz in gewisser Weise über den Tod hinaus zu verlängern.
Die Marketingprofessorin Linda Price, die heute an der Universität von Arizona lehrt, hat zusammen mit zwei Kollegen detailliert untersucht, wie es ältere Menschen mit der Weitergabe ihres Besitzes halten. Interviews mit achtzig Männern und Frauen
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