Wir sind was wir haben - Die tiefere Bedeutung der Dinge fuer unser Leben
nicht etwa an Wert, sondern werden im Gegenteil von Jahr zu Jahr kostbarer. Verständlich also, wenn ein älterer Mensch an seinen Sachen festhält und Neuerwerbungen eher gleichgültig gegenübersteht.
Jüngeren Menschen mag dies wie rührselige Nostalgie vorkommen. Doch die Wertschätzung vertrauter Dinge hat einen sogar messbaren Wohlfühleffekt, wie die Arbeiten des Gerontologen Edmund Sherman zeigen. Er befragte knapp 200 Senioren zu ihren materiellen Schätzen. Alte, die viele Erinnerungsstücke oder andere Lieblingsobjekte ihr Eigen nannten, erlebten den Alltag und das Leben insgesamt als angenehmer, ausgefüllter und interessanter als jene, denen nur wenige oder gar keine Gegenstände am Herzen lagen. In der Stichprobe habe es nur ganz wenige Personen gegeben, die keine geliebten Besitztümer hatten nennen können und dennoch hohe Werte in der Lebenszufriedenheit erreichten, schreibt der Gerontologe. Wenn jemand gar keinen Gegenstand besitzt, an dem sein Herz hängt, könne man sogar daraus schließen, dass er sich schlecht an die Herausforderungen des Alters angepasst hat.
Mit geliebten Dingen ins Seniorenheim
Herausforderungen gibt es im Alter viele. Entgegen weitverbreiteter Vorstellungen ist der Lebensabend eine Phase gravierender Veränderungen: Das berufliche Engagement endet, Interessen wandeln sich, körperliche Leiden nehmen zu, möglicherweise steht ein Umzug in eine kleinere Wohnung oder ein Seniorenheim an und sterben der Partner und nahe Freunde. In dieser Zeit des Wandels wirken Gegenstände wie Anker. Aufgrund ihrer konkreten, materiellen Natur geben sie dem Besitzer Halt und liefern ihm Referenzpunkte, die über Jahre und Jahrzehnte stabil bleiben.
Manche Wissenschaftler vergleichen die Funktion von Besitztümern für alte Menschen mit der Rolle, die Schmusetuch oder Teddybär für kleine Kinder spielen: Sie erleichtern den Übergang in eine neue Lebensphase. Das zeigt sich besonders deutlich beim Umzug in ein Altersdomizil. Natürlich gibt es auch Fälle, in denen Besitz eher eine Bremse ist, beispielsweise wenn alte Menschen so an ihrem Haus hängen oder so viele Sachen haben, dass sie eine räumliche Veränderung scheuen, obwohl es für sie das Beste wäre. Aber generell sind geliebte Dinge beim Wohnortwechsel eher eine Stütze. Verschiedene empirische Untersuchungen belegen: Anzahl und Umfang der Dinge, die man bei einer Ortsveränderung im Alter mitnimmt, sind mitentscheidend für den Erfolg einer solchen Aktion. Mit ihrer Hilfe kann man sein Heimatgefühl zumindest teilweise an einen anderen Ort transportieren; sie dienen auch als Tröster und Brücke in die eigene Vergangenheit.
Die Amerikanerin Ann McCracken, eine Expertin für Kranken- und Altenpflege, befragte 7 5 Frauen, die seit mindestens sechs Monaten in Seniorenwohnanlagen lebten. Die Forscherin ließ sich ausführlich erzählen, welche Sachen die Frauen mitgebracht hatten, was sie als ihre wertvollsten Besitztümer erachteten und ob es irgendwelche Objekte gab, die sie vermissten. Es zeigte sich: Wer seinen Hausstand deutlich reduzieren und viele Besitztümer aufgeben musste, hatte den Wohnortwechsel als deutlich schwieriger empfunden. Den Abschied von geliebten Besitztümern hatten die Frauen oft als außerordentlich schmerzlich erlebt. »Man schließt die Augen«, sagte eine, »es muss einfach weg.« Es waren die durch Dinge symbolisierten Aufgaben und Rollen, die die Seniorinnen am meisten vermissten. Eine Frau trauerte um ihre Backutensilien, mit deren Hilfe sie früher Köstlichkeiten für Familienfeste zubereitet hatte. Andere verloren mit den Gartengeräten oder dem Tafelsilber die Lust, sich weiter als Gärtnerin beziehungsweise Gastgeberin zu betätigen. »Sich von diesen Besitztümern zu trennen war für die Frauen schwieriger, als den Wechsel im sozialen Netzwerk zu bewältigen«, hebt McCracken hervor.
Der Rat der Wissenschaftlerin: Beim Umzug von Senioren sollte die Frage der Besitztümer unbedingt ausreichend berücksichtigt werden. Dabei gelte durchaus »mehr ist besser«. Die Menge an Dingen, die ein alter Mensch mitnehmen könne, sei ein guter Indikator dafür, wie leicht oder schwierig sich der Umzug gestalten würde. Insbesondere Gegenstände, die Erinnerungen fördern, die ein alter Mensch besonders oft benutzt und die mit wichtigen Rollen verbunden sind, sollten wenn möglich mit umziehen. Untersuchungen von anderen Wissenschaftlern bestätigen, wie berechtigt diese Mahnung ist. In einer
Weitere Kostenlose Bücher